Nachts unter den Bäumen

■ Oder vielmehr: „Nacht unter Wölfen“? Oder doch eher „Nackt unter Vogelwilden“? Eine extrem nachdenkliche Betrachtung von Eckhard Henscheid

Der böhmisch-österreichisch- jüdische Dichter Leo Perutz (1882–1957) gehört seit vielen Jahren zu meinen obersten Favoriten, er ist leider immer noch – trotz zum Beispiel Adornos emphatischem Lob – ein recht unterschätzter, mindergehandelter Autor, und da freut man sich als sein Fan natürlich über jede neue Publikation von ihm und über ihn, über jeden Essay und sogar über jedes Fuzzelchen als honorable mentioning, und so am Ende auch sogar darüber, daß und wie Edda Stadtelmeyer vom „Buchladen Neuer Weg, Würzburg“ unlängst im Börsenblatt den Debutroman eines mir bis dahin unbekannten Benjamin Stein in der Version lobt, daß sie an ihm „eine wunderbare Mischung“ aus Bulgakovs „Der Meister und Margarita“ und Perutz' „Nachts unter den Bäumen“ preist – freute sich sogar ganz besonders darüber, daß Perutz endlich einen Erben gefunden hat und dergestalt gleichzeitig noch mehr unter die Leute kommt, freute sich seiner ihn ja mächtig aufwertenden Vollendung zum Trio durch die Handreichung von Bulgakov, freute sich für das Triptychon Bulgakov- Stein-Perutz wegen seiner magisch-synthetischen, ja gottesaugenhaften Dreiecksgleichschenkeligkeit aus dem hüftähnlich schöngeschwungenen Füllhorn von Edda Stadtelmeyer – freute sich, daß dieser Neue Weg zu Perutz geradewegs gerade aus Würzburg kommt; nur, leider leider –: hat Perutz ein Buch mit dem Titel „Nachts unter den Bäumen“ nie geschrieben.

Mit „Nachts“, doch, da war was bei ihm; aber niemals unter den Bäumen. Andererseits stammt „Ganze Tage in den Bäumen“ nachweislich von der (neulich schon deshalb zurecht gestorbenen) Marguerite Duras – das kann also Edda Stadtelmeyer nicht gemeint haben. Und auch nicht Perutz' legitimen Geistesbruder Reiner Kunze: denn dessen unsterbliches Gedicht spielt zwar tatsächlich unter – aber es heißt nun mal „Unter sterbenden Bäumen“. Hat die Stadtelmeyer in der Hast vielleicht „Unter dem Milchwald“ gemeint? Aber, der Titel ist nicht von Perutz, sondern von Dylan Thomas, so wie „Unter dem Vulkan“ von Lowry! „Unter Geiern“? Nein, diesen Titel kennen wir, der ist einwandfrei von Karl May. Und eben nicht von Marx noch Perutz. Von dem stammt aber mit Sicherheit auch nicht der Film „Nacht unter Wölfen“, nein, da bringt die Stadtelmeyer doch nichts durcheinander – und auch nichts mit dem bekannten Pornostreifen „Nackt unter Vogelwilden“ bzw. seinem Remake „Unter den baumlangen Skipetaren“ –

„Nachtasyl“ dagegen? Richtig: Gorki. Wie der Russe sagt: „Na dne“. Hm. Und „Nachtflug“ von Saint-Sartre-Beaumarchais – „Vol de nuit“, klar doch. Die „Nachtgedanken“ aber sind von Young, „Nachgewächs“ von Edda Barnes oder jedenfalls von Dunja Raiter oder Djuna Stadtelmüller – aber halt: Hat der Perutz nicht mal einen Roman „Nachts unter der goldenen Stadtbrücke“ geschrieben? Oder jedenfalls einen Novellenkranz „Nachts unter der steinernen Krücke“ beziehungsweise respektive „Brille!“ Oder freilich vielmehr „Die Nackten unter den Toten der Prager Karlsbrü – “ und–

Ach was, die Hella Stadtelbauer soll sich wg. einem so blöden Titel nicht verrückt machen lassen, und von mir hier schon gar nicht. Wenn schon der mächtige Suhrkamp-Insel-Verlag unlängst im Zusammenspiel mit seiner eigenen und ihm assoziierten Presseabteilung den Titel „Die Augen eines Dieners“ seines eigenen, ihm lang schon dienenden Autors und Büchnerpreishonoratiors Hermann Lenz aus Jux und Schlampamperei öffentlich mit „Mit den Augen eines Dichters“ anzeigt, dann wird sich doch unsere Erna wegen so eines blöden Perutzro – –

„Nackt in den nächtlichen Steingärten“ heißt er. Doch. Dochdochdoch. Und eben nicht „Trabber Geierschnabel“. „Nacktschnecken bäumen sich auf“, jawohl, das ist es. Sie können es nachprüfen, Leser. Oder aber – tät' vielleicht gar einer sich hochrappeln und nachschauen geh'n im Lexikon oder im Neckermann-Katalog, ob wenigstens der – Bulgakov- Titel stimmt? Mir persönlich ist da mehr nach „Meister Magritte“. Oder jedenfalls „Marguerite Duras und der nächtliche Meister aus Deutschland“ oder vielmehr –––

Die Nacht steht um mein Haus. Auf daß wir geistig nicht umnachten. Die Nacht schlinge um uns ihr wunderbares Band – und – Ach, Edda!