Gentechnik: Abschied von zehn Jahre alten Thesen?

■ Forschungspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion will Kritik an der Gentechnologie „entideologisieren“. Warnung vor Anpassung an Industriemeinung

Bonn (taz) – Kaum hatte der Grünen-Abgeordnete Manuel Kiper gestern vor Bonner Journalisten eine neue parteiinterne Debatte zur Gentechnologie gefordert, traf per Fax eine Klarstellung ein. Der forschungspolitische Sprecher der Fraktion passe sich der Industriemeinung an, hielt ihm Kollegin Marina Steindor vor und widersprach dem Eindruck, die Grünen hätten sich bewegt: Bei dem Vorstoß Kipers handele es sich um eine „singuläre Position innerhalb der Partei“.

Der Anstoß zur Debatte, den Kiper gestern mit einem sechsseitigen Papier zur „Entideologisierung“ der Gentech-Kritik geben wollte, war nach dessen Auskunft aber mit dem Vorstand der Grünen abgesprochen. Offensichtlich teilt auch die Parteispitze nicht mehr die rigorose Ablehnung jeglicher Gentech-Anwendung, die jahrelang die offizielle Parteilinie dargestellt hatte.

Dem promovierten Biologen Kiper schwebt eine Parallele zum Umgang der Grünen mit der Informations-, Medien- und Kommunikationstechnologie vor: Der Abgeordnete erinnerte gestern daran, daß die Grünen noch vor etlichen Jahren zum Boykott dieser Technologien aufgerufen hatten. Auf dem Parteitag von Mainz hätten sie nun einen neuen Beschluß gefaßt, der die neuen Möglichkeiten anerkenne und auf deren demokratische Kontrolle ziele. Die rigorosen Grünen-Beschlüsse gegen Gentechnologie sind mittlerweile zehn Jahre alt.

Genaueres Hinsehen und ein vorsichtiges Abwägen von Vorteilen und Risiken empfiehlt Kiper der eigenen Partei bei vier Anwendungsbereichen der Gentechnik, nämlich der Enzymtechnologie, der Medizin, bei gentechnischen Diagnostika und in der Forschung. So müßten die Grünen etwa anerkennen, daß die Gentechnik in der Medizin neben vielen Mißerfolgen einige Erfolge aufzuweisen habe. Auch könnten sie nicht leugnen, daß 90 Prozent der Waschmittel heute mit Enzymen versetzt seien und deshalb die Umwelt weniger belasteten.

Grundsätzlich hält Kiper Genmanipulation auch weiterhin für „verfehlt, unökologisch und zum Teil unethisch“. Den Bundesforschungsminister und die chemische Industrie will er auch weiterhin dafür kritisieren, daß sie völlig einseitig auf Gentech setzten und Illusionen über deren wirtschaftlichen Erfolg verbreiteten.

In Kipers Augen hat die Fraktion schon eine „Vorentscheidung“ zur Debatte getroffen, als sie sich kürzlich entschied, im Mai eine Fachtagung zur Enzymtechnologie abzuhalten. Kollegin Steindor widersprach gestern auch in diesem Punkt: Das Votum sei kein „Angelpunkt zur Revidierung von Parteipositionen“. Hans Monath