Ulrikes Zimmer

Tilman Rossmy macht Lieder über T-Shirts, Naßzellen, Lederhosen und die Liebe. Die Sache hält er für möglich – „sag ich jetzt einfach mal“  ■ Von Thomas Groß

Ironie perlt hier ab. Versuch es besser gar nicht erst, einem Mann wie Tilman Rossmy mit dem Hintersinn seiner eigenen Lieder daherzukommen. Er ist der 1:1-Mann. Wie haben Sie's gemacht, Herr Rossmy? Auskunft: „Tja, ich sitz da so mit der Gitarre in der Hand, Bilder tauchen auf, und ich laß sie einfach so hochkommen. Du machst es eben, wie du es machst, verstehste?“

Verstehe schon, irgendwie, aber man hätte halt gern genauer gewußt, aus was für Quellen Stücke wie „Ich geh den Herzweg“, „Laß los“, „Du hast mich berührt“ oder „Ulrike, eine Lektion mehr in Liebe“ eigentlich entspringen. Und wie die erste Solo-CD „Willkommen zuhause“ insgesamt entstanden ist. Ich habe erwachsene Männer weinen sehen angesichts satanischer Verse wie „wir könnten fliegen / anstatt unsere Herzen voreinander zu verschließen / und festzuhalten an diesem Schmerz“. Vor Peinlichkeit. Oder vor sonstwas.

Das ist man auch einfach nicht mehr gewohnt, daß das crazy little thing called love mit einem derartigen Einsatz an Lyrik und Emotion zu Liedern, sagen wir besser: Songs, umgeschmiedet wird. Vielleicht bei Charlie Rich (Gott hab' ihn selig), ja, bei Dave Dudley, Hank Snow und Charlie Pride. Bei Hank Williams sowieso, im Country-Genre, dem ja so manches Geheimnisvolle hinsichtlich vormodernen Gefühlszaubers nachgesagt wird, aber nicht bei einem essenstämmigen Wahlhamburger wie Rossmy. Und hat nicht mal einer gesagt, seit Rostock seien Gefühle wieder „tendenziell faschistisch“? Aber nochmal: Was ist so komisch an Liebe, Frieden und Unterstehen? Wenn man mit Rossmy redet, scheint der Weg vielleicht lang, die Sache eher einfach. Irgendwann, meint er mit seiner herabgedimmten, verquengelten Lindenberg-Stimme, irgendwann kommst du an den Punkt, wo du dich entscheiden mußt: du oder die anderen – „sag ich jetzt einfach mal“.

Deshalb auch der Schritt raus aus der Independentästhetik, den Sach- und Szenezwängen, hin zur hörerfreundlichen Produktion. Bernd Begemann hat sie in die Hand genommen, was erstmals zu einer entscheidenden Aufwertung der Arrangements geführt hat: Bottleneck-Steel-Gitarren, satte Wurlitzers, Hintergrundchöre – was du willst! Aber alles im Dienste der humanistisch verbindlichen Aussage, daß Liebe grundsätzlich geht. Gehen tut. Will sagen: möglich ist, wenn richtig angepackt. Erst nachdem klargeworden sei, „wieviel unbewußte Sachen da vorher abgelaufen sind“, sei es drin gewesen, sich selber die „Schönheit“ – Rossmy spricht das große Wort gelassen aus – „zu gönnen“, quasi die Essenz von allem rauszulassen, „so daß sich dann darin auch andere in ihrem Menschsein erkennen können.“ Und was, wenn Frauen finden, das hier sei 'ne gottverdammte Männerarschplatte? Auch für den Fall hat Rossmy nach einigem Nachdenken ein unschlagbares Argument parat: „Dann sag' ich einfach, daß ich das nicht glaube.“

So codeverletzend uncool kann nur jemand reden, den der Hipsterkosmos, die permanenten Wertungen und Umwertungen der Großstadtszenen, im Kern unberührt gelassen haben. Begriffsstutzigkeit als Waffe, als ein Mittel, sich erst mal alles in Ruhe anzuschauen, bevor auf den Zug aufgesprungen wird – also genau das, wofür wir die 3 1/2 LPs, die Tilman Rossmy mit seiner Band Die Regierung aufgenommen hat, immer geliebt haben. Sie hatten Aura und Stimme des inneren Essen, Ruhrgebietscountry, der angenehm wenig Aufhebens von sich macht. Selbst als Rossmy später im hohen Hamburg aufkreuzte, kam es nie zur vollständigen Assimilierung, geht ja auch gar nicht, schon rein konstitutionell: „Bei meinem ersten Auftritt in Hamburg hatte ich noch lange Haare und 'ne Lederhose an. Noch heute erzählen mir Leute, wie enttäuscht sie waren, daß ich 'ne Lederhose anhatte. Das widerspricht Hamburger Ästhetik nämlich absolut. Der Feind – die Lederhose!“

Reingefallen, während man noch dachte, cool zu sein... Aber aus solchen Sprüngen in der Schüssel des Homogenen bezieht Rossmy sein songschreiberisches Potential. Er trifft nicht einfach nur die Frau im Bodycount-T-Shirt, die eigentlich auf Männer mit Tätowierungen steht (aber für ihn eine Ausnahme macht), er sieht beim Ausziehen auch die Garfieldpuppe im Regal, das supersaubere Badezimmer – er hat, mit anderen Worten, was übrig für das zarte, poetische Weben alltäglicher Disparitäten im Geschlechtlichen und anderswo. In Kladden fixiert, trägt Rossmy es nach Hause, wo es gelagert und bei Bedarf zu Songs weiterverarbeitet wird: Die Situation neulich zum Beispiel, mit der Frau am Nebentisch („Romy-Schneider-Augen...“), dann die Sache mit Corinna; oder Szenen in Ulrikes Zimmer, wenn sie es echt nicht gut findet, daß er immer so früh einschläft, denn „ich brauch'n Liebhaber, ich will Leidenschaft“.

Das etwas Rauchzarte solcher Botschaften macht Rossmy weniger Probleme als die Angst, nicht geradlinig, verständlich, essentiell genug zu sein. Großes Stiftungswerk. Die Stücke sollen „in irgendeinem bayrischen Dorf genauso funktionieren wie in der Großstadt“. Und was sie mit ihrem Vorbild, dem Countrysong, verbindet, ist tatsächlich dieses Festhalten an einem Universalismus des Empfundenen, dessen Grundsubstanzen noch nicht in irgendwelche schnöden Partikularinteressen auseinandergetreten sein sollen. Geschlechterkampf? Schön und gut, aber brauchen wir nicht alle mal 'ne helfende Hand? Ich bin okay, du bist okay? Du darfst Baby zu mir sagen? Und hat nicht schon Freud gesagt, was Rossmy hier in einem als „Gospel“ ausgewiesenen Stück nochmal allen ausdrücklich ans Herz legt: „Du mußt immer wieder hingehen, wo dein Schmerz ist / damit er sich verändert“?

Wohl wahr, muß ja, muß ja, doch doch. Reden mit Rossmy ist am Ende genauso wie seinen Songs zuzuhören – es hat diesen Seventies-Appeal von Selbsterforschung, Privaterleuchtung und philosophisch-existentieller Spekulation. Gut kann man sich, wäre die Zeit nicht begrenzt, vorstellen, bei Heisenbergs Quantentheorie die Gesprächsoberfläche zu verlassen, um irgendwann wieder beim I Ging aufzutauchen, und wer dem Hermann Hesse in sich nicht ins Auge blicken kann, sollte zu einer Droge wie „Willkommen zuhause“ vielleicht lieber nicht greifen.

Wer's aber draufhat, kann durch Meditation am Song in jene Sphären gelangen, in denen Kitsch und Weisheit noch ungeschieden sind und keiner die chemische Formel so genau kennt. Es ist wie im Traum: Ein scheues Rudel Songgebilde schaut dich an...Horst- Eberhard Richter ist auch mit dabei...Sie kommen näher...Da heißt es flüchten oder standhalten.

Tilman Rossmy: „Willkommen zuhause“ (L'Age D'Or/Rough Trade). Tour (mit Bernd Begemann): 6.5. Offenbach, 7.5. München, 8.5. Heidenheim, 9.5. Göttingen, 10.5. Berlin, 11.5. Hamburg