„Dem Bundesvorstand Beine machen“

Beschluß des Grünen-Parteitags gegen frühen Umzug nach Berlin verstärkt Ost-Unmut über die Westorientierung der Partei. Werner Schulz wirft seiner Partei Doppelzüngigkeit vor  ■ Aus Bonn Hans Monath

Der Bundestagsabgeordnete Werner Schulz entdeckte neue Seiten an seiner eigenen Partei: Eine „fragwürdige Moral“ bescheinigte der empörte Politiker aus den neuen Ländern den Bündnigrünen. Der Grund: Die Delegierten des Parteitages von Mainz hatten eben einen Antrag aus Thüringen abgelehnt, wonach jedes Mitglied monatlich eine Solidaritätsmark zum Aufbau der Partei in den neuen Ländern spenden sollte. Ein Bundesvorstand, so monierte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, der es nicht fertigbringe, die Partei von der Notwendigkeit zur tätigen Solidarität zu überzeugen, sei „nicht auf der Höhe der Problemlage“.

Die Ablehnung der grünen Soli- Mark zugunsten des Ostens aber war in Mainz nicht der einzige Beschluß, der manchen ostdeutschen Delegierten an den Rand der Verzweiflung trieb. Tiefe Frustration zumindest bei vielen Berlinern löste die Entscheidung aus, anders als bisher geplant mit der Bundesgeschäftsstelle nicht schon zum Bundestagswahlkampf 1998 in die Hauptstadt zu ziehen.

Der frühe Umzug, so argumentiert Schulz, sei nicht nur eine Forderung des Ostens, sondern stehe im Gesamtinteresse der ganzen Partei. Verständlich, daß die Berliner Grünen dem Parlamentarischen Geschäftsführer da recht geben: Der Landesvorstand der Grünen in der Hauptstadt kritisierte den Beschluß zur Verschiebung des Umzugs als „falsches Signal zum falschen Zeitpunkt“.

Auch die Berliner Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstädt- Bohlig sieht in dem Beschluß zur Verschiebung des Umzugs einen schlimmen Fehler von weitreichender Konsequenz: „Die Grünen reihen sich widerspruchslos in das Versagen der Westparteien ein.“ Zudem ist Schulz nicht der einzige Ost-Vertreter, der sich öffentlich über die Führung seiner eigenen Partei beschwert. Prominente wie Hans-Jochen Tschiche aus Sachsen-Anhalt und Klaus- Dieter Feige aus Mecklenburg- Vorpommern hatten in den vergangenen Wochen öffentlich über die Selbstbezogenheit ihrer westdominierten Partei und deren Arroganz gegenüber den Problemen ihrer Landesverbände jenseits der Elbe kritisiert.

Schulz sagt mittlerweile voraus, daß die Unzufriedenen nicht länger still halten werden: „Es wird etliche geben, die dem Bundesvorstand Beine machen werden.“ Mit vielen Einladungen zu Terminen und Vor-Ort-Gesprächen in den neuen Ländern wollen die Ost- Vertreter nun ausloten, wie ernst gemeint die Beteuerungen ihrer Parteispitze zur Hilfe für ihre schwachen neuen Landesverbände tatsächlich gemeint sind.