„Es geht jetzt um alles“

Wolfgang Clement (SPD), zweiter Mann nach Ministerpräsident Rau, hat das rot-grüne Gewürge in Düsseldorf satt: Geben die Grünen im Flughafenstreit nicht nach, ist die Koalition beendet  ■ Von Walter Jakobs

Wolfgang Clement sitzt da, als habe man ihm eine Bohnenstange durchs Jackett gezogen. Kerzengerade, das Gesicht ohne Regung. In diesem Moment wirkt er eiskalt und hochexplosiv zugleich. Wer jetzt einen aufbrausenden, ruppigen Auftritt abwenden will, muß sich in Geduld üben. Solange, bis sich Clements Züge wieder entspannen, bis sich die zu schmalen Schlitzen verengten Augen wieder weiten.

Diejenigen, die an diesem Sonntag in einem klapprigen Bus der südafrikanischen Regierung um ihn herum sitzen, beherzigen diese Vorsichtsmaßnahme. So bleibt der Frieden gewahrt, und die meisten aus der vielköpfigen Wirtschaftsdelegation, die mit Clement auf der Suche nach neuen Märkten und Partnern durch Südafrika touren, bekommen von der angespannten Situation nichts mit.

Noch vor ein paar Stunden strahlte dieses Gesicht. Warme, freundlich funkelnde Augen, ein spitzbübisches Lächeln – von abweisender Kälte keine Spur. Verantwortlich für den Temperatursturz war eine Nachricht aus dem fernen Düsseldorf. Dort hatten die Bündnisgrünen beschlossen, Clements Haushalt solange zu blockieren, bis er die 20 Millionen Mark endgültig zurücknimmt, die für den Ausbau des Dortmunder Flughafens in seinem Etat eingeplant sind. In diesem Moment steht Clements Entscheidung fest: „Wenn das blockiert wird, dann mach' ich nicht mehr mit.“

Schon 1994 hatte die damals noch allein regierende SPD in Düsseldorf beschlossen, zu den bei der europäischen Union beantragten Flughafenmitteln rund 20 Millionen Mark aus der Landeskasse zuzuschießen – als sogenannte Komplementärmittel, ohne die das Geld aus Brüssel nicht frei wird. Von dieser Zusage will der Düsseldorfer Wirtschafts- und Verkehrsminister unter gar keinen Umständen runter. Daß inzwischen die Grünen mitregieren, ändert für den Architekten des rot-grünen Bündnisses daran nichts: „Denen ist das doch während der Koalitionsgespräche gesagt worden, und die haben das akzeptiert.“ Tatsächlich?

Gisela Nacken, die heutige Fraktionssprecherin der Grünen, die damals mit Clements Vorgänger Franz-Josef Kniola den Verkehrs- und Flughafenbereich aushandelte, hat eine andere Version: „Das ist zwar angesprochen worden, aber die Landesförderung haben wir nie akzeptiert.“ Man habe zu diesem Punkt aber leider „nicht sauber verhandelt“, räumt Nacken immerhin ein. Im Koalitionsvertrag verpflichtet sich die Landesregierung, Flughäfen nicht mehr mit Landesmitteln auszubauen. Doch für Dortmund läßt Clement diese Passage nicht gelten: „Wir fördern dort die Flughafeninfrastruktur und nicht den Ausbau einer Landebahn. Das war akzeptiert, und das muß kommen!“

Er zählt auf: den Flughafen in Essen-Mülheim geschlossen, die Flugbewegungen in Düsseldorf eingeschränkt, in Köln durch die Diskussion um Nachtflugverbote schon 600 Arbeitsplätze verloren und in Münster die Ansiedlungspläne von neuen Unternehmen in Flughafennähe bedroht. Für Clement ist jetzt die Grenze erreicht, sonst „machen wir uns den Standort NRW kaputt“. Er wisse von 50 Unternehmen, „die sagen, wenn Dortmund auch noch scheitert, dann ist Schluß“. Das wochenlange rot-grüne Gewürge hat er endgültig satt. Und deshalb stellt er an diesem Sonntagabend in einem Johannesburger Hotel die Koalitionsfrage: Entweder die Grünen schlucken den Dortmunder Flughafenausbau, oder die Koalition ist für ihn beendet.

Kompromißlos jagt er diese Botschaft in stundenlangen Telefonaten mit den Spitzengenossen durch die Leitungen nach Düsseldorf. Am Ende steht die rote Einheitsfront. In der Koalitionsrunde beißen die Grünen auf Granit. Auch die SPD-Fraktion folgt ihm zwei Tage später einstimmig. Während sich bei den Grünen in Düsseldorf die Mienen verfinstern, ist im fernen Südafrika jede Bitternis aus Clements Antlitz verflogen. Charmant und konzentriert verfolgt er wieder den eigentlichen Zweck seiner einwöchigen Reise: Türen öffnen, Kontakte ermöglichen.

Der Zufall will es, daß die nordrhein-westfälische Partnerprovinz Mpumalanga just in diesen Tagen nach Entwicklern und Investoren für einen Flughafen sucht. „Wenn Sie schon in NRW keinen Flughafen bauen können, dann vielleicht in Mpumalanga“, scherzt Clement, locker und souverän im Umgang mit den kleinen und großen Bossen, die ihn begleiten. Bei ihnen genießt er einen exzellenten Ruf: „Ich habe bei der CDU mein Kreuz gemacht“, gesteht ein Maschinenbauer, „aber der Clement, der gefällt mir.“ Er werde „respektiert“, ergänzt ein anderer, „weil man bei ihm weiß, was er will. Auch dann, wenn er etwas macht, was der Wirtschaft nicht paßt.“

Der Jurist und Journalist Clement war jahrelang der Mann hinter den Düsseldorfer Kulissen. Wenn es brannte, mußte immer er für seinen Ziehvater, Freund und Chef Johannes Rau ran. Ein Macher, mit Grundsätzen zwar, aber ohne die Phantasie beflügelnde Visionen, angetrieben von einem unbändigen Willen zum Erfolg: ob als Chefredakteur, als Parteisprecher oder in diversen Regierungsjobs. Als Wirtschaftsminister und potentieller Rau-Nachfolger rackert er jetzt bis zur Erschöpfung, um seinem wichtigsten Ziel näher zu kommen, die Arbeitslosigkeit um 50 Prozent zu reduzieren: „Wir müssen das schaffen, und ich will das schaffen.“ Existenzneugründungen fördern, Lohnnebenkosten um mindesdens 30 Prozent senken, Überstundenabbau in großen Unternehmen, das sind nur einige der Stichworte, die Clement zur Lösung dieser „herausragenden Aufgabe“ parat hat. Bei allem folgt er der Devise: „Keine neuen Belastungen für Unternehmen“ – auch nicht durch eine ökologische Steuerreform. Am liebsten sind ihm ohnehin freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie, etwa zur Senkung des Spritverbrauchs oder zum Recycling.

Clement ist ein Arbeitstier, er fordert sich und seinen Mitarbeitern alles ab. Oft reicht ihm nicht, was andere liefern. Manche fürchten ihn als Chef. Bei anderen steht er hoch im Kurs, „weil er begründeten Widerspruch akzeptiert und bei ihm derjenige gewinnt, der über die besseren Argumente verfügt“. Schwierige Zusammenhänge schnell und präzise zu Papier zu bringen, zählt zu den ausgesprochenen Stärken des gelernten Journalisten. Unschlagbar ist er, wenn es um Dinge geht, die ihn wirklich interessieren – etwa Medienpolitik. Dann hält er sich an kein Manuskript und „kommt damit oft weit besser rüber, als mit dem, was wir ihm aufgeschrieben haben“, räumt eine Mitarbeiterin ein. So landete jüngst eine Ansprache für einen Kongreß zur Telearbeit komplett im Papierkorb. Clement hatte sie per Video aufzeichnen lassen wollen, um bei dem Treffen in Dortmund wenigstens via Bildschirm präsent zu sein. Am Ende formulierte er seine Botschaft ohne Block direkt in die Kamera. Seine Leute hatten mal wieder umsonst gearbeitet, aber Clement pur, so einer seiner Zuträger, „war einfach besser“.

Ein mitreißender Redner ist Wolfgang Clement gewiß nicht, aber inzwischen vermag auch er – wie jüngst beim politischen Aschermittwoch in Dortmund – größere Säle in Kampfesstimmung zu versetzen. Auch auf Marktplätzen und vor tausenden von Stahlarbeitern kommt Clement inzwischen gut an. Der Versuchung, sich des Beifalls wegen einem billigen Populismus hinzugeben, weiß er zu widerstehen.

Wenn er eine Sache für richtig und wichtig hält, weicht Clement auch innerparteilichem Streit nicht aus. Und schmeißt auch schon mal die Brocken hin. Das war 1986 so, als er den Job als SPD-Parteisprecher quittierte wegen Willy Brandts fehlender Rückendeckung für den damaligen Kanzlerkandidaten Johannes Rau. Und Clement hätte es auch diesmal getan, wäre die SPD ihm am Anfang der Woche nicht gefolgt. In solchen Situationen zeigt sich im übrigen, daß das Bild vom immer coolen, jeden Schritt abwägenden Strategen sich an der Wirklichkeit bricht. Damals hatte Clement ebensowenig eine Strategie für den Tag danach wie heute.

In der Sache wich er auch nach seiner Rückkehr ins kalte Düsseldorf gestern keinen Millimeter zurück – im Ton allerdings gab er sich gelassener. Er habe „jetzt keinen Grund über das Ende der Koalition zu spekulieren“, wies er alle entsprechenden Fragen zurück. „Selbstverständlich“ sehe er nun wieder eine „Chance“ für eine „Lösung“ der Krise. Den Weg dafür weise der SPD-Fraktionsbeschluß, der vorsieht, die Infrastrukturverbesserungen am Dortmunder Flughafen zu finanzieren, aber nicht die Startbahn. Das ist Diplomatie auf hohem Niveau, denn genau gegen diese „Lösung“ richtet sich ja der grüne Protest. Weil die Grünen sich aber durch das Junktim, die Zustimmung zum Haushalt an die Flughafenmittel zu binden, politisch selbst matt gesetzt haben, wird es so kommen wie Clement will. Entweder mit den Grünen oder ohne sie.

Und seine Partei wird ihn auf dem morgen in Duisburg beginnenden Parteitag nicht im Regen stehen lassen. So einhellig wie in der Fraktion werden ihm die Genossen nicht folgen, aber daß sie ihn wie geplant zum neuen stellvertretenden Landesvorsitzenden küren werden, steht fest. Faktisch füllt der ausdauernde Jogger und leidenschaftliche Raucher diesen Parteiführungsjob ohnehin schon aus. Die Zeit, sich privaten Freuden hinzugeben, wird dann noch knapper. Clement ist dazu bereit. Nur eins wird er nicht tun, zur Verbesserung der Kondition weniger zu rauchen: „Soll ich mir dieses Vergnügen jetzt auch noch abgewöhnen? Was bleibt mir dann noch?“