Bolivien

In Bolivien leben schätzungsweise 30.000 bis 50.000 Familien vom Kokablatt. Es ist nicht nur das rentabelste Produkt, sondern auch das bequemste, denn anders als bei anderen Agrarprodukten müssen die Absatzmärkte nicht erst mühsam erschlossen werden: Die Käufer kommen von selber.

Daß landesweit 30.000 Hektar zuviel Koka angebaut werden, ist nicht mehr strittig. Die etwa 15.000 Hektar in den Yungas, unweit von La Paz, befriedigen die Nachfrage für den traditionellen Konsum im Andenhochland, wo die Inka-Bauern und Bergleute seit Jahrhunderten das energiespendende Blatt kauen. Alle neueren Anbaugebiete, vor allem der tropische Chaparé, der erst in den letzten vierzig Jahren von Siedlern landwirtschaftlich erschlossen wurde, gelten als illegal. Die Ernte hier dient ausschließlich der Weiterverarbeitung zu Kokain.

Unter der Regierung Jaime Paz Zamora (1990–1994) wurde ein Gesetz verabschiedet, das die jährliche Vernichtung von 5.000 bis 8.000 Hektar illegaler Kokapflanzungen vorschreibt. Das ehrgeizige Ziel stimmt mit den Vorgaben der USA überein, ist allerdings kaum durchzusetzen. Nachdem erste Versuche, die Kokapflanzen gewaltsam auszurotten, zu vehementen Protesten der betroffenen Bauern geführt hatten, bot die Regierung den Bauern 1.500 bis 2.000 US-Dollar für jeden freiwillig vernichteten Hektar Koka. Das funktionierte ganz gut, auch wenn die Bauern zunächst alles daransetzten, die Regierung auszutricksen, indem sie die Sträucher mit der Machete abhackten – worauf sie im folgenden Jahr um so besser gediehen. Inzwischen wissen die Experten des Agrarministeriums, daß sie nur entwurzelte Pflanzen als vernichtet bescheinigen dürfen.

Versuche mit alternativen Anbauprodukten haben nur wenig Erfolg. Denn die USA verlangen zwar die Ausrottung der Kokapflanzen, öffnen aber ihren Markt nicht für Früchte wie Maracuja, Ananas oder Bananen. Evo Morales, der Chef der Kokabauernföderation, klagt, daß seine Leute selbst auf ihren traditionellen Produkten sitzenbleiben: „Durch die Politik der offenen Grenzen sind heute chilenische Importzwiebeln billiger als bolivianische.“

Die Bauern organisieren immer wieder Proteste. Zuletzt brachen etwa 200 Frauen aus dem Chaparé zu einem Marsch auf La Paz auf, und am 17. Januar kamen über tausend Demonstrantinnen und Demonstranten in der Regierungsstadt an, ohne daß jedoch die Regierung von Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada auf irgendeine ihrer Forderungen einging.

Das Programm der freiwilligen Pflanzenvernichtung löst zwar die strukturellen Probleme nicht, befriedigt aber zunächst die USA. Wenn alles nach Plan läuft, dann könnten die Überschußkulturen in acht Jahren ausgerottet sein. Doch inzwischen sind viele Bürgermeister dahintergekommen, daß ihre Gemeinden nur dann Investitionen der Regierung anziehen, wenn dort ein Koka-Problem besteht. Während im Chaparé die Kokasträucher ausgerissen werden, entstehen neue Kulturen in Gegenden, wo bisher nur traditionelle Produkte angepflanzt wurden. rld