Rockin' all over the Arts

■ Der Welt zeigen, was ein Synergieeffekt ist: David S. Rubin, Kurator am Phoenix Art Museum, verfolgt die Spur des Rock 'n' Roll in der zeitgenössischen Kunst

Jetzt hat ihn auch noch die Kunst ereilt: „The Death Of Kurt Cobain“ heißt das Gemälde von Sandow Birk, realistisch ausgestaltet bis in die Corona aus Hirn und Blut, die das weggeblasene Haupt des Stars umgibt. Doch was wie Splatter in Öl wirkt, dealt bei näherem Hinsehen tüchtig mit der Tradition. Es ist der an sich selbst und der Welt schwermütig gewordene barocke Herrscher, der hier Hand an sich gelegt hat, Vorläufer des romantisch-dekadenten Künstlers, wie ihn Birk, ein weltreisender Skater aus Südkalifornien, an den Gemälden der Präraffaeliten im Louvre studieren konnte. Punkkultur meets Kunstgeschichte. Als (ironisches?) Zitat schwebt ein Heiligenschein über Cobains sterblichen Resten. In den USA war Birks kalifornischer Barock im Rahmen einer gutbesuchten Wanderausstellung zu sehen, hierzulande bleibt es vorerst beim Katalog. Für „It's Only Rock and Roll. Rock and Roll Currents in Contemporary Art“ hat David S. Rubin, Kurator am Phoenix Art Museum, ein wenig bunt zusammengetragen, was als Spur der populären Musik in der Kunst der letzten 40 Jahre lesbar wird. Ein begleitender Essay führt durch einige Hintergründe, fächert Szenen auf, nennt Schlüsselfiguren, doch in dem, was gezeigt wird, heftet sich die Suche zunächst ans Manifeste, Ikonographische: Andy Warhols Starlithographien, Peter Blakes Hommage an die Everly Brothers, Ray Johnsons berühmter weinender Elvis von 1956.

Diese Pioniertaten wirken wie Dokumente einer ästhetischen Überrumpelung. Erst in den sechziger Jahren sind genügend Künstler so „weit“, daß aus individueller Faszination so etwas wie eine neue Avantgarde entsteht. Ab da allerdings erweitert sich der Dokumentationsbereich derart rasch und enorm, daß Rubin die Erfolgsstory von Rock im Verhältnis zur Bildenden Kunst immer schematischer (und amizentristischer) gerät: Höhepunkt in den Sechzigern, danach Einzelaktionen, ein echter Anlauf erst wieder in den späten Siebzigern, als die New Yorker Downtownszene um Debbie Harry (alias Blondie), Patti Smith und David Byrne der Welt zeigte, was ein Synergieeffekt ist: Fast alle waren sie Kunsthochschulabsolventen, malten, schrieben und hatten gleichzeitig eine Band. Etwa zur gleichen Zeit setzt auch die Reflexion aufs Medium selbst ein: Ed Ruscha läßt hyperrealistisch gemalte Schallplatten wie Sonnen aufgehen, daneben Nam June Paiks Installationen, fetischistisch gestückelte „Recycled Records“ von Christian Marclay.

Auch die Neueren – Jeff Koons, Mike Kelly, Raymond Pettibon – bekommen ihr Bildbeispiel, das weite Feld wird phänomenologisch abgegrast. Stück für Stück will Rubin belegen, was die Ausstellung im Namen führt, und es gelingt ihm auch leidlich, denn ab einem bestimmten Punkt kehrt die Beweislast sich um. Je abstrakter der künstlerische Zugriff, je „konzeptueller“ der Bezug auf Songtitel, Tonträger und Ikonographien des Pop, desto größer die Evidenz, daß die „Rock and Roll Currents in Contemporary Art“ seit längerem eher die Regel als die Ausnahme sind. Um den feministischen Grundakkord in Barbara Krugers Collage „We Don't Need Another Hero“ (1987) zu überhören, muß man schon zu jener verschwindend kleinen Minderheit gehören, die den von Tina Turner interpretierten Song noch nie im Leben gehört hat – und selbst dann noch wird die plakative, bei Kruger quer über eine zwischengeschlechtliche Genreszene gelegte Zeile sich wie ein Songtitel festsetzen: Rockin'all over the Arts.

Gleiches gilt – finales Beispiel – für Robbie Conals Agitprop-Porträts von 1989, die die zentralen Figuren der damals regierenden Bush-Administration mit bezeichnenden Subskriptionen versehen. „Sex“, „Drugs“, „Rock 'n' Roll“ steht unter den Konterfeis häßlicher alter Männer, Anspielung auf Rotlichtskandale, Noriega-Affäre etc., aber auch Ausdruck des schleichenden Universalismus von Popkultur: Tower, Bush, Atwater – alles Rock 'n' Roller. Von Bill Clinton wissen wir es sowieso. Thomas Groß

David S. Rubin (Hrsg.): „It's Only Rock and Roll. Rock and Roll Currents in Contemporary Art“. Prestel Verlag, 154 Seiten, 49,80 DM