■ Berlinale-Anthropologie
: Leidenschaft

Der jungen Frau, neben die ich mich setzte, hatte der Film mißfallen. Konfus, zuviel Geschlechtsverkehr, „eben so 'ne Beziehungskiste. Mal sehn, wie sie sich jetzt rausreden.“ – Hinterher, als die Pressekonferenz vorbei war, traf ich den Produzenten G., und der meinte professionell skeptisch, die Journalisten hätten das Team geschont und ihre Ablehnung des Films verschwiegen; während der Vorführung selbst habe Unmut vorgeherrscht.

Die Pressekonferenz begann mit dem Einzug des Teams unter „Blitzlichtgewitter“, wie der journalistische Terminus seit meiner filmbegeisterten Kindheit lautet. Das Gewitter hielt ein bißchen an, während das Team auf dem Podium Posto faßte und sich den Kameras kameragerecht präsentierte. Dabei verdeckten die Kameraleute für uns, die unten Sitzenden, die Objekte der Begierde vollständig. Nur die heiter-durchdringende Stimme der Hauptdarstellerin erreichte uns, wie sie heftig nach Juliette verlangte, ohne Juliette könne man unmöglich beginnen, eben sei Juliette noch an ihrer Seite gewesen ... Da trippelt die winzige Juliette herbei (wußte sich so eine Extraportion unserer Aufmerksamkeit zu verschaffen), und nach den Kameras kommen unsere Fragen.

Genau genommen kreisten sie um den Geschlechtsverkehr. Die Hauptdarstellerin lebt mit dem Regisseur zusammen; in dem Film lebt sie mit einem der Hauptdarsteller zusammen, ist sogar von ihm schwanger, als dringender Sexualappetit auf den zweiten Hauptdarsteller sie erfaßt. Deshalb wollen wir sie Anna nennen; stets heißen, Eckhard Henscheids Forschungen zufolge, Frauen dieses Schlags Anna, wenn deutsche Kunstproduktion uns umwirbt.

Die Pressekonferenz begann natürlich nicht unumwunden mit dem Geschlechtsverkehr, sondern tastete sich, wie bei der Sache selbst, voran. Wobei sich mir eine Junfeuilletonistin mit glattem Langhaar und bleich angestrengter Stirn einprägte: Sie wollte wissen, ob der Name der Produktionsfirma, „X Filme“, auf die „Generation X“ verweise und die gemeinsame Autorschaft von Anna und ihrem Regisseur beim Drehbuch anzeige, „daß man heute nur noch als multiple Persönlichkeit Filme drehen kann?!“ Aach, köstlich. Wie wir Feuilletonisten nach jedem Tagesrest schnappen, um zu unseren aus .

greifenden Traumreisen aufzubrechen ...

Es war natürlich der französische Kollege („so sind sie, die Franzosen“), der die Rede wieder auf den Geschlechtsverkehr brachte, und Anna und ihre drei Jungs, der Regisseur und die beiden Hauptdarsteller („einer depressiver als der andere“, murmelte die junge Kollegin nebenan), berichteten freimütig. Wie also die Lebensgefährtin des Regisseurs unter seiner Anleitung splitternackt ... Wie du als nackter Mann darauf achtest, vor der Kamera die entscheidende Stelle verborgen zu halten („tja, Mädels, gegenüber vom Penisneid findet sich die Kastrationsangst“).

Sie machten das gar nicht übel, Anna und ihre Jungs, darzustellen, wie das Darstellen von Geschlechtsverkehr eine schwierige, zugleich aufregende und heikle, aber auch befriedigende Sache war. „Viel besser als der Film“, sagte die junge Kollegin. Die Kameramänner, die Pressekonferenz filmend, verwandelten die Darsteller in Darsteller von Darstellern.

Dann wurde es aber seltsam. Von dem Geschlechtsverkehr ausgehend nämlich versuchte der Regisseur seine eigene Leidenschaft für das Filmemachen darzustellen. Und so unsere Leidenschaft für den Film zu erwecken. Und unsere Leidenschaft, ließ er erkennen, könnte dann die Leidenschaft des großen Publikums erwecken, wer weiß, so daß sich im Zuge dieser Übertragung von Leidenschaft der große Erfolg und schließlich auch das große Geld einstellten.

So direkt durfte der Regisseur seine Gier natürlich nicht entwickeln; aber am Ende lief es auf ein solches Energieübertragungsmodell hinaus. Der Regisseur bemühte sich einen Regisseur darzustellen, den übergreifende Leidenschaft für das Filmemachen antreibt – viel zu kompliziert, als daß es gelingen könnte.

Vor dieser Pressekonferenz hatte einen andere stattgefunden. Ein überraschend alter Mann gab witzig Auskunft über seinen Kurzfilm, den er „wider besseres Wissen“ gedreht habe. Und wovon handle der nächste?

Ach, nein, zu dem nächsten werde es nicht kommen, nein, wirklich, er sei jetzt 88 Jahre alt, da ist der Lebenshöhepunkt längst überschritten, und was noch kommt, gibt's gratis.

Dankbar und hoffnungsfroh lachten die ehrgeizgequälten jungen Kollegen. Michael Rutschky

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