Flüchtlinge – hübsch geschlechtsneutral

■ Weltweit flüchten mehr Frauen als Männer. Asyl in Europa erreichen nur wenige

Politisch Verfolgte genießen Asylrecht – so steht es im Artikel 16 des Grundgesetzes. „Politisch Verfolgte“ – ein hübsch geschlechtsneutraler Begriff, ähnlich wie „Flüchtling“, ohne semantische Möglichkeit für ein großes I. Das deutsche Asylrecht differenziert nicht zwischen Männern und Frauen, obwohl es genug Gründe dafür gäbe, und die allmonatliche amtliche Statistik unterscheidet bestenfalls nach Herkunftsländern, nicht nach Geschlecht. Was in der öffentlichen Diskussion zählt, sind allein die Zahlen und da erscheinen Asylbewerberinnen als vernachlässigenswerte Größe.

Frauen stellen nur einen Anteil von 20 bis 30 Prozent der Flüchtlinge in Deutschland und Westeuropa. Im Weltmaßstab ist das Zahlenverhältnis genau umgekehrt: Von den 19 Millionen Menschen, die nach Schätzungen des UN- Flüchtlingskommissariats weltweit auf der Flucht sind, sind 80 Prozent Frauen und Kinder. Die allermeisten von ihnen bleiben jedoch in den Anrainerstaaten ihrer Herkunftsländer.

Nur die wenigsten schaffen den Sprung nach Europa – weil ihnen das Geld und die Papiere für die Reise fehlen, weil die Familie eher den Sohn als die Tochter ins Exil schickt oder weil Frauen mit Kindern nicht mobil sind für eine Odyssee.

Diejenigen, die allein oder mit ihrer Familie den Weg nach Deutschland gefunden haben, stoßen hier auf besondere Probleme: Ihre politische Verfolgung ist meist an das politische Engagement ihrer Männer geknüpft.

Ihre eigenen Aktivitäten wurden im Heimatland oft mit Repressalien und Verbrechen bestraft, über die sie aus Scham nur schwer reden können und die – wie etwa Vergewaltigungen – vom deutschen Asylrecht nicht als staatlich organisierte Willkür angesehen werden. Frauenspezifische Verfolgungen werden von deutschen Gerichten nur selten als „politisch“ anerkannt.

So werden Verstöße gegen die islamische Kleiderordnung auch bei nachgewiesener Verfolgung nicht als asylrelevant gewertet, weil nach Meinung der Richter die islamische Werteordnung nicht mit westlichen Maßstäben gemessen werden könne.

Seit Mitte der 80er Jahre gibt es in der Bundesrepublik die Forderung nach einem besonderen Asylrecht für Frauen, das geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe berücksichtigen sollte, so wie es in einigen Ländern bereits geschieht. So hat Kanada zum Beispiel vor gut zwei Jahren sogenannte „Gender Guidelines“ eingeführt, geschlechtsspezifische Richtlinien, die bei der Beurteilung von Asylanträgen angelegt werden müssen. Als Folge dieser „guidelines“ wurden auch Frauen als asylberechtigt anerkannt, die vor prügelnden Ehemännern, vor Zwangsehen oder vor Geschlechtsverstümmelungen geflohen waren.

Die Debatte über ein geschlechtsspezifisches Asylrecht in der Bundesrepublik wurde jedoch, kaum war sie in Gang gekommen, durch die Diskussion über die Verschärfung des Asylrechts in den Hintergrund gedrängt.

Dabei treffen die Regelungen des neuen Rechts wiederum Frauen auf besondere Weise: Die Abschottung der Bundesrepublik durch einen Cordon von „sicheren Drittstaaten“ macht die Überwindung der Grenzen und den Zugang zum deutschen Asylrecht fast nur noch mit Hilfe organisierter Schlepper möglich. Doch das Geld für deren Bezahlung haben gerade Frauen in der Regel nicht.

Zumindest einige kleine Verbesserungen und einen Funken Problembewußtsein hat die Debatte für ein frauenspezifisches Asylrecht hinterlassen. Bei den Anhörungen vor dem Asylbundesamt bemühen sich einige Dienststellen inzwischen immerhin, Frauen von weiblichen Kollegen anhören zu lassen oder dabei zumindest Dolmetscherinnen hinzuzuziehen.

Bei der Unterbringung von Flüchtlingen gehen die deutschen Behörden nur in den seltensten Fällen auf die besondere Lage und die Vorerfahrungen von Frauen ein. Fast ausnahmslos werden Flüchtlingsunterkünfte „gemischt“ mit Männern und Frauen belegt. In vielen Fällen gibt es nicht einmal eine klare räumliche Trennung. So sind Toiletten und Duschen oft nur notdürftig vor männlichen Mitbewohnern verschließbar.

Betreuerinnen von Flüchtlingsunterkünften berichten von sexuellen Übergriffen, Vergewaltigungen und von Zwangsprostitution. Unter dem Druck der neuen Umgebung, der Angst, sich in den deutschen Ämterwirren nicht zurecht zu finden und in dem Gefühl, im Heim als Freiwild zu gelten, begeben sich etliche Frauen in Abhängigkeit eines männlichen Beschützers.

Frauen, die nicht allein, sondern mit der ganzen Familie nach Deutschland gekommen sind, stehen oft vor einem anderen Problem: psychisch finden sie sich in der neuen Lage meist besser zurecht als die Männer, weil sie weiterhin den Alltag ihrer Familie organisieren müssen und damit die aufgezwungene Untätigkeit überspielen können. Sie leiden jedoch unter den exilbedingten psychischen Abstürzen und Identitätskrisen ihrer Männer, die oft in steigendem Alkoholkonsum und häufigen Gewaltausbrüchen münden. Vera Gaserow