„Bonn verlangt zuviel“

■ Der SPD-Abgeordnete Verheugen zur deutsch-tschechischen Aussöhnung

taz: Woran liegt es, daß eine Verständigung mit Prag immer schwieriger zu erreichen scheint?

Günter Verheugen: Der Ball liegt eindeutig in Bonn. Die Bundesregierung verlangt von der tschechischen Seite zuviel und gibt zuwenig. Sie fordert von Prag nicht nur Erklärungen, sondern will Ergebnisse auch noch eigens in Gesetzen festgelegt sehen. In der Diskussion um Eigentumsforderungen deutscher Vertriebener verhält sich die Bundesregierung dagegen selbst extrem legalistisch. Der Bundeskanzler hat es unterlassen, seine Autorität ins Spiel zu bringen und die CSU in die Schranken zu weisen. Es ist leider so, daß dieses wichtige Stück deutscher Außenpolitik den parteipolitischen Interessen der CSU untergeordnet wird. In Prag, das hat man uns gesagt, erwartet man von Kohl, er solle seine mehrfach gemachten Versprechungen einlösen und sich dieser Angelegenheit tatsächlich persönlich und mit voller Autorität annehmen.

Ist Prag zu einer moralischen Distanzierung vom Unrecht der Vertreibungen bereit?

Es gibt überhaupt keinen Zweifel an der tschechischen Bereitschaft, den eigenen Anteil für die düsteren Kapitel im Verhältnis der beiden Völker zu benennen. Die Erklärung, die die tschechische Seite abgeben will, geht weit über das hinaus, was ich als innertschechischen Konsens für möglich gehalten hätte. Für die Bundesregierung ist das Verhältnis zu Prag eine Frage von vielen. Für die tschechische Seite aber ist es die entscheidende Frage schlechthin. Hier muß ein breiter innertschechischer Konsens gefunden werden – und das war bislang auch gelungen.

Ein Hindernis aus Prager Sicht sind die Eigentumsforderungen der Vertriebenen, auf die Bonn nicht verzichten will. Würde eine SPD-Regierung in Bonn Formulierungen anbieten können, die reale Ansprüche deutscher Seite in Zukunft ausschließen?

Wir wollen nicht tief einsteigen in diese juristische Diskussion, denn da kann überhaupt nichts dabei rauskommen. Wichtig ist, daß von den Unterhändlern im Dezember schon eine Formulierung gefunden worden war, die für beide Seiten akzeptabel ist. Davon ist die Bundesregierung wegen des CSU-Vetos nach dem Spitzengespräch im Kanzleramt wieder abgerückt.

Die Störung des deutsch-tschechischen Verhältnisses ist vor allen Dingen auf das Nichteingreifen von Kohl zurückzuführen, auf die Tatsache, daß Kohl kürzlich den tschechischen Ministerpräsidenten in Bonn nicht empfangen hat und auf die unglückliche Pressepolitik von Außenminister Kinkel. Kinkel hat nach tschechischer Auffassung die Prager Position falsch dargestellt. Nach dem, was ich ihn Prag erfahren habe, kann ich diesen Vorwurf nur bestätigen.

Im tschechischen Wahlkampf sind zunehmend nationale Töne zu hören. Haben die Politiker dort noch genug Spielraum, um zu ihrem mutigen Schritt zu stehen?

Ja. Es hat sich an der Konstellation insgesamt noch nichts geändert. Die Regierungsparteien und die wichtigste Oppositionspartei, die Sozialdemokraten, stehen zu dem Projekt. Allerdings gewinnen in der Öffentlichkeit die radikalen Parteien von links und rechts an Boden, weil sie sich immer wieder auf mißverständliche und auch leichtfertige Äußerungen beziehen können, die aus Deutschland kommen. Interview: Hans Monath