Arbeitslose vom Aussterben bedroht

■ Die Gewerkschaftsspitze stimmt bei der Kanzlerrunde zum „Bündnis für Arbeit“ einer Kürzung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu und erhält dafür das vage Versprechen einer Halbierung der Arbeitslosenquote bis zum Jahr 2000

Bonn (taz) – Andere Länder, andere Sitten: In Frankreich protestierten die Gewerkschaften gegen sozialen Kahlschlag. In Deutschland macht die Arbeitnehmervertretung bei der Sanierung selbst mit. „Thatcherismus oder die Verordnung der Politik per Dekret von oben – wie zuletzt in Frankreich – haben bei uns keine Chance“, sagte der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte gestern nach der Kanzlerrunde zum „Bündnis für Arbeit“.

Wer mitspielen will, muß auch bezahlen: Die DGB-Spitze hat die von der Bundesregierung geplante Kürzung der Arbeitslosenhilfe abgesegnet. Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschafter einigten sich am späten Dienstagabend auf das ehrgeizige Ziel, die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik bis zum Jahr 2000 zu halbieren. Wo die schmerzhaften Einschnitte zur versprochenen Senkung der Sozialbeiträge auf unter 40 Prozent gesetzt werden sollen, läßt das geschlossene „Bündnis für Arbeit und zur Standortsicherung“ aber weitgehend offen.

Die Bundesregierung habe zugesagt, die Arbeitslosenhilfe um „nur noch“ 3 Prozent pro Jahr zu senken – statt der ursprünglich geplanten 5 Prozent, erklärte DGB-Chef Dieter Schulte gestern in Bonn. Zudem bleibe entgegen den Regierungsplänen der Rechtsschutz gegen unzumutbare Kürzungen der Sozialhilfe bestehen. Es drohen Abschläge von 25 Prozent, wenn eine zumutbare Arbeit abgelehnt wird. Beide Zusagen würdigte Schulte als wichtigen Regierungsbeitrag zu einem Bündnis für Arbeit.

„Europaweit ohne Beispiel“ nannte Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) die Absprache von Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern. Die Signalwirkung einer partnerschaftlich unternommenen Initiative zur Stärkung der deutschen Wirtschaft würdigten auch Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) und Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU).

Wachstum und mehr Beschäftigung erwarten sich die Verhandlungspartner durch Regierungshilfen für Existenzgründer, die Senkung der Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent bis zum Jahr 2000, die Senkung der Staatsquote durch mehr Eigenverantwortung in der sozialen Sicherung und Berufsausbildung sowie vor allem durch zurückhaltende Lohnforderungen der Gewerkschaften. Schulte sagte, die Gewerkschaften hätten in der Kanzlerrunde keine Vorleistungen der Arbeitgeber gefordert: Die Schaffung neuer Arbeitsplätze und zurückhaltende Lohnforderungen müßten parallel laufen.

Geplant ist eine Finanzierung der Fortbildung und Umschulung Arbeitsloser aus Steuermitteln statt aus Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. Über die Neuregelung der Frühverrentung wegen Arbeitslosigkeit durch einen gleitenden Übergang älterer Arbeitnehmer in den Ruhestand soll bis zur nächsten Kanzlerrunde am 12. Februar Einigung erzielt werden.

Die Gewerkschaften hätten die Zusage erhalten, daß sie an der Reform des Sozialstaats beteiligt würden, sagte DGB- Chef Schulte. Er wertete es als Erfolg, daß die ersatzlose Abschaffung der Vorruhestandsregelung zunächst abgewendet sei. Auch hätten die Verhandlungspartner das Angebot akzeptiert, Überstunden durch Freizeit auszugleichen, Arbeitszeitkonten einzuführen und dadurch mehr Zeitsouveränität zu ermöglichen.

Einzelheiten der geplanten Kürzungen nannten die Bundesminister gestern nicht, sondern verwiesen auf den Jahreswirtschaftsbericht, den Minister Rexrodt am Dienstag kommender Woche vorstellen will. Jedoch kursieren in Bonn Listen mit Regierungsvorhaben zur Senkung der Lohnnebenkosten und zur Sanierung des Haushalts. So plant die Union angeblich, die bislang übliche Berücksichtigung von Schul- und Ausbildungszeiten für die Rentenberechnung (bis höchstens sieben Jahre) zu streichen, bei Kuren Urlaubstage auf die Kurzeit anzurechnen und Krankmeldungen vom ersten Fehltag an für obligatorisch zu erklären. Eine Arbeitsgruppe im Wirtschaftsministerium will nach einem Bericht der Bild-Zeitung bei Sonn- und Feiertagszuschlägen die Steuerfreiheit streichen und das Mutterschaftsgeld kürzen. Hans Monath

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