Der Newton des Skifahrens

■ Der Österreicher Mathias Zdarsky erfand vor 100 Jahren eine neue Skifahr-Technik. Dennoch geriet er in Vergessenheit. Erst vor einigen Jahren wurde Zdarskys Entwicklung wieder neu entdeckt Von Ralf Klee und Ravi Sharma

Der alpine Skisport hat ihm einiges zu verdanken, und trotzdem ist er in Vergessenheit geraten: Mathias Zdarsky. Im österreichischen Lilienfeld entwickelte er 1896 eine revolutionäre Skibindung und die dazugehörige Fahrtechnik, mit deren Hilfe man sich im bis dahin als unwegbar geltenden, steilen alpinen Gelände fortbewegen konnte. Er gilt daher als Vater des alpinen Skilaufs. Doch wer war dieser Mann, dem das Jubiläum „100 Jahre Alpiner Skilauf“ gewidmet ist?

Mathias Zdarsky wurde 1856 als zehntes Kind eines Müllers in Koschichowitz in Südmähren geboren. In seiner Jugend wurde der humanistisch gebildete Zdarsky Opfer eines bösen Streichs. Ein von Mitschülern gebastelter Sprengsatz brachte ihn um das linke Augenlicht und zerstörte gleichfalls seine Ambitionen, Naturwissenschaftler zu werden. Stattdessen wurde Zdarsky zunächst Lehrer, später entdeckte er seine künstlerische Ader. Als Maler und Bildhauer verschlug es ihn unter anderem auch an die Münchner Akademie der Künste.

Nachdem der Norweger Fridtjof Nansen 1888 auf Skiern Grönland durchquerte und dies drei Jahre später in seinem Buch Auf Schneeschuhen durch Grönland verarbeitete, brach im mitteleuropäischen Bürgertum das Skifieber aus. Diese Begeisterungswelle erfaßte auch Zdarsky, der damals auf seinem Gut Habernreith in der Gemeinde Lilienfeld lebte, das er eigentlich erworben hatte, um sich intensiv der Kunst zu widmen. Seine Studien an den damals üblichen Skiern zeigten deren Unbrauchbarkeit im steilen Gelände auf und veranlaßten Zdarsky zur Entwicklung einer eigenen Bindung. Nach der Fertigstellung dieser seitenstabilen Bindung, an der er fünf Jahre arbeitete, entwickelte er eine Fahrtechnik, mit der die Fortbewegung auch an steilsten Hängen möglich war: den „Schlangenschwung“.

1896 verfaßte er sein bedeutendstes Werk, das Skilehrbuch Lilienfelder Skilauf-Technik, das in Hamburg veröffentlicht wurde. Zdarkys Methoden wurden schnell populär, und so begann er in Lilienfeld mit der Vermittlung seiner Skitechnik. Im Laufe seines Lebens hat er auf diesem Weg über 20.000 Menschen das Skilaufen beigebracht – unfallfrei und kostenlos. 1905 trug Zdarsky mit dem von ihm gegründeten „Alpen-Skiverein“ den ersten öffentlichen Torlauf in der alpinen Skigeschichte am Muckenkogel in Lilienfeld aus. Sein Ziel war es aber nicht, den Spitzensport zu fördern, sondern jedem Interessierten das Skifahren nach seiner Technik schnell und einfach beizubringen.

Zdarsky hat während seines Lebens nie die Anerkennung erfahren, die ihm eigentlich gebührt. Seine Gegner waren Anhänger der norwegischen Skilauf-Technik, die sich durch seine neuartige Methode vorgeführt sahen. Etliche „Experten“ versuchten ihn zu demontieren, woraufhin Zdarsky sie zu einem Vergleichsrennen herausforderte. Er bot demjenigen, der ihn schlagen sollte, 1.000 Mark Siegprämie. Sein Freund Wilhelm Rickmer Rickmers – Leiter der großen deutsch-russischen Pamir-Expedition Ende der 20er – erhöhte diese Prämie auf 20.000 Mark. Keiner seiner Gegner wagte es, gegen ihn anzutreten, da Zdarsky, obwohl schon 40jährig, als der beste Skiläufer seiner Zeit galt.

Nun versuchten sie, Zdarsky mundtot zu machen, indem sie ihn nicht in ihre Skiverbände aufnehmen wollten. Seinen „Schlangenschwung“ übernahmen sie dennoch, nur nannten sie ihn „Stemmbogen“. So schafften es Zdarskys Konkurrenten, daß dessen Bedeutung im alpinen Skilauf fast in Vergessenheit geraten wäre. Erst heute wird die Rolle Zdarskys im alpinen Skilauf deutlich. Spitzenfahrer wie der Italiener Alberto Tomba oder der derzeit im Gesamt-Weltcup führende Norweger Lasse Kjus fahren nach seiner Technik.

1916 machte eine Lawine Zdarsky nach schweren Knochenbrüchen zum Invaliden. Der unverheiratete Lehrer starb am 20. Juni 1940 in St. Pölten. Kurz vor seinem Tod schrieb Wilhelm Rickmer Rickmers über ihn: „... ich halte Zdarsky unbedingt für den Newton der Skigesetze. Zdarsky ist ein Mann, den wir Skiläufer aus sachlichen und menschlichen Gründen nie vergessen dürfen.“