Wie man eine Autorin konstruiert

Ist Ingeborg Bachmanns Prosa eine Antwort auf Max Frisch? Zu einem monumentalen Mißverständnis  ■ Von Elke Brüns

Wer dichtet? Ist es das Leben, der Autor, oder gar das Werk, das sich selber schreibt? „Ich habe nicht mit dir gelebt als literarisches Material“, sagt eine Frau in Max Frischs „Montauk“. Dieser Satz wird Ingeborg Bachmann zugesprochen, die mit dem Dichter zwischen 1958 und 1962 liiert war und sich durch dessen Roman „Mein Name sei Gantenbein“ bloßgestellt sah. Gab es eine Antwort Bachmanns auf dieses Verfahren, ist auch Frisch zum literarischen Material der Autorin geworden?

Nicht nur Schriftsteller dichten, auch Herausgeber. Zumal wenn das Werk, um das es geht, zum Teil Fragment geblieben ist und zudem aus Entwürfen, Umschreibungen und Neuansätzen besteht, die vielleicht einen mehrbändigen Zyklus hätten bilden sollen. Die Rede ist von Ingeborg Bachmanns „Todesarten“ und damit – so der Piper- Verlag – von einem jener „seltenen Werke der Literatur, um die sich schon früh Mythen gebildet haben“. Die historisch-kritische Teilausgabe des Werkes sei deshalb eine „editorische Großtat und ein literarisches Ereignis ersten Ranges“.

Was hat die Bachmann-Ausgabe mit Frisch zu tun? Zunächst gar nichts, wie es scheint. Um den Textraum der „Todesarten“ zu rekonstruieren, ließen sich die Herausgeber Monika Albrecht und Dirk Göttsche neben den Indizien der „kodikologischen Analyse“ – z.B. Papiersortenbestimmung, Schreibmaschinentypen – von dem leiten, was Bachmann eine „Problemkonstante“ nannte: Die „unverwechselbare Wort-, Gestalten- und Konfliktwelt“, die einen Autor „unausweichlich“ mache. Die Editoren sehen diese im Bemühen Bachmanns, erzählerische Formen zur Gestaltung von „Individual- und Zeitgeschichte“ zu finden.

Dies las sich allerdings in den Vorveröffentlichungen und Ankündigungen der Edition noch anders. Dort gab es etwas, das mit Frisch verbunden war und so ähnlich wie Problemkonstante hieß, nämlich „Leitlinie“. Diese Leitlinie besagt, daß Bachmann die „Todesarten“ in der literarischen Auseinandersetzung mit Max Frischs Werk entwickelt habe. Die Konstruktion des zweiten Romans dieser Ausgabe – von den Herausgebern „Goldmann/Rottwitz-Roman“ genannt – folgt dieser These. Sie folgt damit auch der Doktorthese der Mitherausgeberin Monika Albrecht „zur Bedeutung von Werk und Person Max Frischs in Ingeborg Bachmanns ,Todesarten‘“ – so der Untertitel der Untersuchung („Die andere Seite“. Könighausen und Neumann, 1989).

Die Liebesbeziehung zwischen ihm und Bachmann, berichtet Frisch 1975 in „Montauk“, begann mit einem Brief: Angetan von ihren Texten, habe er der ihm persönlich noch unbekannten Dichterin geschrieben, „wie gut es sei, wie wichtig, daß die andere Seite, die Frau, sich ausdrückt“. Dem Zerbrechen der Liebesbeziehung folgte, obwohl Bachmann Frischs Tagebuchnotizen vernichtete, ein Text: „Mein Name sei Gantenbein“. Als das Buch erschien, sah Bachmann sich darin zum literarischen Material degradiert.

Auf dieses „unanständige“ und auch ästhetisch „falsche“ Verfahren Frischs, das die Erinnerung literarisch ausbeute, habe nun Bachmann eine „Antwort“ gesucht – so die Bachmann-Herausgeberin Albrecht. Aus dieser Suche entstanden die Fragmente um die Figuren Franza und Fanny, der autorisierte Roman „Malina“ (1971) sowie der bereits genannte „Goldmann/ Rottwitz-Roman“. Damit müßte, wer Bachmanns „Todesarten“ ab 1962 verstehen will, zuerst einmal Frisch lesen, denn wer versteht schon die Antwort, kennt er nicht die Frage?

Die Dissertation, in der die Leitlinie entwickelt wurde, findet sich in das Literaturverzeichnis verbannt. Hat die „Leitlinie Frisch“ ein solches Schattendasein verdient? Immerhin wurde an ihr entlang die Textgestalt des zweiten „Todesarten“-Romans rekonstruiert. Das „ästhetische Verfahren“ Bachmanns, so Albrecht in der Dissertation, sei „zwar nicht sehr weit ausgestaltet“, aber „als ,Programm‘ erkennbar“. Es darf an dieser Stelle gefragt werden, um wessen Programm es sich hier handelt – das der Autorin oder das der Interpretin? Für letztere jedenfalls ist „ebenso deutlich ersichtlich, daß auch diese Konzeption eines ,Todesarten‘-Romans sich in ihren Grundlagen als Gegenentwurf zum Erzählverfahren Max Frischs begreift“. Wer also dichtet hier?

Mit Hilfe eines werkexternen Verfahrens wurde aus dem Nachlaß ein ,Werk‘ konstruiert. Daß die Dekonstruktion gerade des Fanny- Goldmann-Fragments und seine Teil-Rekonstruktion zum „Goldmann-Rottwitz-Roman“ nicht einleuchtet, begründet sich wohl in diesem editorischen Vorgehen. Auf diese Weise wird zugleich das Bild der Frau als das Andere des Mannes reproduziert, als der Spiegel, in dem der fragende Mann seine Antwort – und sei's als Kritik – findet. Immerhin findet so Frischs Wunsch nach einer weiblichen Schrift, die sich als „andere Seite“ begreift, seine späte Erfüllung. Bachmanns Werk taugt dazu nicht. In „Malina“ schrieb sie: „Es war immer ein Anderer in mir, der nie einverstanden war und der sich nie Antworten abzwingen ließ auf aufgezwungene Fragen.“

Die Herausgeber haben die Texte nicht als „Todesarten“ oder „Todesarten-Zyklus“, sondern als „Todesarten-Projekt“ ediert. Damit suggerieren sie ein kontinuierliches work in progress von den Entwürfen aus den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren über den aufgegebenen „Eugen- Roman“, die Büchner-Preisrede „Ein Ort für Zufälle“, die Fragmente „Wüstenbuch“, „Das Buch Franza“, das „Requiem für Fanny Goldmann“, den „Goldmann- Rottwitz-Roman“, die autorisierten Texte „Malina“ (1971) und „Simultan“ (1972) bis zu späten Entwürfen zu Erzählungen.

1973 starb Bachmann. Obwohl die Autorin – so 1969 in einem Interview – ihr Romanprojekt als eine „einzige große Studie aller mögichen Todesarten, ein Kompendium, ein Manuale“ plante, ist bereits bezweifelt worden, daß es nur ihr Tod war, der sie aus dieser Arbeit herausgerissen hat. Als zu ambivalent erweist sich der einzige zu Lebzeiten erschienene Roman „Malina“, der zunächst als Ouvertüre gedacht war und dessen Vorgeschichte als Frage nach einer „weiblichen Erzählposition“ bis in die fünfziger Jahre reicht. Zwar habe sie, so die Autorin, mit dieser „geistigen, imaginären Autobiographie“ ihr „lange verschüttetes“ weibliches Ich gefunden, aber am Ende des Romans geht dieses Ich in die Wand: ein Todesbild des Verstummens. Überlebender ist der männliche Doppelgänger, die Titelfigur Malina. „Es war Mord“ lautet der berühmte letzte Satz. Ouvertüre für weitere „Todesarten“ oder nicht doch vielleicht eher ein Schlußsatz?

Den „Todesarten“ wird in der Edition eine Einheitlichkeit zugesprochen, die zweifelhaft ist. Tatsächlich lassen sich die „Franza“- und „Fanny“-Fragmente als autobiographische Dokumente lesen, denen Bachmanns Erfahrung mit Frisch sich eingeprägt hat. Es ist anzunehmen, daß Bachmann sie nicht publizierte, weil sie selber sie zu den „privaten Peinlichkeiten“ zählte. „Malina“, betonte sie, solle von solchen Peinlichkeiten eben nicht handeln. Der Roman spielt oft genug auf seine eigene Entstehung aus den frühen „Eugen“- Fragmenten an. Ist „Malina“ damit, wie die Herausgeber meinen, ein „Neuansatz“ innerhalb des „Todesarten“-Projektes, oder geht es um etwas gänzlich anderes?

Von der Sicht auf diesen Roman hängt nicht zuletzt das Verständnis des Bachmannschen Werkes ab. Dieser Text erzählt die Geschichte des männlichen Autorsubjektes als Mord am weiblichen Ich. Damit verrät Bachmann in der ihr eigenen Radikalität einiges über ihre eigene, in der Titelfigur Malina repräsentierte männliche Autorposition. 1972 ließ Bachmann dann doch noch die Erzählung „Simultan“ erscheinen. Sie hat ihn als „Rettung aus der Schublade“ gezogen, als sie ihre im Rahmen der „Todesarten“-Planung entstandenen Verpflichtungen bei Piper nicht einlösen konnte. „Simultan“ hatte sie zur Erholung während der Arbeit an „Malina“ geschrieben und nicht zu den „Todesarten“ gezählt. Warum tun es die Editoren jetzt? Es erlaubt ihnen, eine Kontinuität des Werks nach dem Erscheinen von „Malina“ (1971) bis zu Bachmanns Tod 1973 zu suggerieren. Paradoxerweise ist gerade die Produktionsgeschichte „Malinas“, des einzigen unter dem Titel „Todesarten“ autorisierten Textes, lesbar als einer jener „Stürze ins Schweigen“, die nach Bachmann die Literatur erst verständlich machen. Nur lassen sich diese natürlich schwer edieren. Offenbar konnte nur die Hintergrundfigur des männlichen Autors Frisch die Einheit des Bachmannschen Werkes und damit dieser Edition garantieren.

Zurück zur Ausgangsfrage. Es ist sicher kein Zufall, daß die Herausgeber bezüglich des zweiten „Todesarten“-Romans auf die „Tatsache“ verweisen, „daß Anordnung ,dichtet‘“. Editoren werden so zu Ko-Autoren. Der Psychoanalytiker Jacques Lacan schrieb den schönen Satz: „Was mich konstituiert, ist meine Frage.“ Er meinte das Begehren des Subjektes, das ,beantwortet‘ werden will. Im Vorfeld der jetzt vorliegenden Edition wurde ein Produktionspaar konstruiert, bestehend aus dem männlichen Subjekt – dem Autor Frisch – und Ingeborg Bachmann, deren Texte als Antworten verstanden werden, die schreibende Frau als das andere des Mannes.

Merkwürdige Ironie: Es war gerade diese falsche, reduzierte Vorstellung, gegen die „Malina“ sich wandte, wenn die weibliche Stimme von der männlichen Autor-Figur Malina sagt, er benähme sich, „als sei ich nur aus seiner Rippe gemacht“.

Ingeborg Bachmann: „,Todesarten‘-Projekt. Kritische Ausgabe.“ Unter der Leitung von Robert Pichl herausgegeben von Monika Albrecht und Dirk Göttsche. Piper Verlag, 5 Bände im Schuber.

Band 1: Todesarten, Ein Ort für Zufälle, Wüstenbuch, Requiem für Fanny Goldmann, „Goldmann/ Rottwitz-Roman“ und andere Texte. Band 2: Das Buch Franza. Band 3.1.: Malina. Band 3.2.: Malina. Band 4.: Der „Simultan“- Band und andere späte Erzählungen.

3072 Seiten mit Fotos und Faksimiles, geb., 358 DM