Toleranz herrscht da, wo sie nichts kostet

■ Umfrage: Weniger Vorbehalte gegen Ausländer, mehr Ängste um Arbeitsplatz

Der Trend ist positiv – mit negativen Einsprengseln. Nach einer repräsentativen Umfrage der InTrend-Sozialforschungsgesellschaft, gestern von der Ausländerbeauftragten Barbara John (CDU) vorgestellt, befürworten rund 90 Prozent der befragten 1.516 deutschen BerlinerInnen die Integration ihrer nichtdeutschen Nachbarn. 86,5 Prozent wünschen sich mehr Ausbildung für ausländische Kinder und Jugendliche, 95,7 Prozent befürworten die Förderung von Toleranz gegenüber AusländerInnen, 72,6 Prozent fänden „mehr Schutz für Ausländer vor Benachteiligungen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt“ gut.

Also lauter nette Deutsche, die täglich Ausländer streicheln gehen? Die Zustimmungsquoten verringern sich schnell, wenn den Lippenbekenntnissen Taten folgen sollen. Zwar sind – Kohl und Kinkel, bitte aufmerken! – immer noch 85 Prozent der Befragten für eine Vergabe der deutschen Staatsbürgerschaft an Neugeborene, deren Mütter oder Väter bereits hier geboren sind. Aber nur noch 52 Prozent sind für „mehr Einbürgerungen“. Und 45,8 Prozent wollen nicht, daß die Mindestaufenthaltszeit von zehn Jahren als Voraussetzung für die Einbürgerung reduziert wird.

Auch das Verständnis gegenüber den oftmals extrem traumatisierten bosnischen Kriegsflüchtlingen ist nicht gerade groß. 39,5 Prozent der Interviewten sind der Meinung, sie sollten „auf jeden Fall zurückkehren“. 36,4 Prozent vertreten die Ansicht, sie sollten „hierbleiben, wenn sie Arbeit und Wohnung haben“, nur 21,0 Prozent finden, sie sollten „hierbleiben, wenn sie das wollen“. Die früheren VertragsarbeiterInnen aus Vietnam scheinen auf etwas mehr Akzeptanz zu stoßen, aber die Frage wurde hier auch etwas anders gestellt: 80,7 Prozent finden es „richtig“, daß sie bei Nachweis einer Arbeit hierbleiben dürfen.

Die auffälligsten Veränderungen ergaben sich bei der Frage, ob Ausländer Deutschen den Arbeitsplatz wegnehmen. Während 1992 knapp 70 Prozent diesem Vorurteil „überhaupt nicht zustimmen“ konnten, waren es im November 1995 nur noch 35,6 Prozent. Umgekehrt hat sich der Anteil derer, die die Frage bejahten, von 4,3 Prozent auf 12,3 Prozent fast verdreifacht. Die Ausländerbeauftragte erklärte sich diesen Negativtrend aus zunehmenden wirtschaftlichen Ängsten. Außerdem habe 1992 angesichts zahlreicher Anschläge die Ausländerintegration im Mittelpunkt der Diskussion gestanden, während nun wirtschaftliche und soziale Sorgen dominierten. Hier sei noch viel Aufklärung nötig, so John, denn in Wirklichkeit sei die Arbeitslosigkeit bei nichtdeutschen BerlinerInnen mit 26,1 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei deutschen.

Auch bei der Frage, ob die rund 200.000 Berliner Moslems eine „große Moschee“ bekommen sollen, ist die multikulturelle Toleranz gesunken. 1992 beantworteten noch 78,3 Prozent mit ja, 1995 nur noch 70,3. Ute Scheub