Der FDP-Trend zur inneren Kündigung

Auf dem Dreikönigstreffen am Wochenende will die FDP zum liberalen Aufbruch für die Landtagswahlen im März blasen – allein ihr fehlt selbst der Glaube an den eigenen Erfolg  ■ Aus Bonn Hans Monath

Ein Mann macht sich Mut. Schwierig wird das neue Jahr angeblich für die Liberalen, aber auch erfolgreich. „Je optimistischer ich das selbst verbreite“, so legte Wolfgang Gerhardt gestern in Bonn freimütig vor zweifelnden Journalisten sein Kalkül offen, „um so eher werden wir das auch schaffen.“

Die deprimierenden Umfrageergebnisse und auch die Neuwahlstrategien der Union, in denen der liberale Partner keine Rolle mehr spielt, dürfen einen FDP-Chef im Jahr der Entscheidung nicht sichtbar erschüttern. Lautes Pfeifen im Walde, so heißt Gerhardts Kalkül, macht Krisensymptome vergessen und übertönt die bösen Zwischenrufe der eigenen Parteiprominenz und das lauter werdende Murren einer frustrierten Basis.

Schaffen müssen die Liberalen die drei Landtagswahlen am 24. März. Denn von der Entscheidung der Wähler in Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, so machte Gerhardt gestern wenige Tage vor dem traditionellen Dreikönigstreffen der Liberalen klar, hängt auch die Existenz der Liberalen in Bonn ab: „Das sind mehr als Landtagswahlen. Sie geben Auskunft über die Kraft der Liberalen in Deutschland.“

Aber welche Liberalen werden es sein? Die Kraft der Mitte, die Gerhardt beschwört, oder doch eine nach rechts gewendete Partei, deren Wortführer in der Krise ihre Chance sehen? Da kündet Alexander von Stahl seine Kandidatur um den Berliner Landesvorsitz an (siehe Interview), und der ihm geistesverwandte Mitstreiter Heiner Kappel aus Hessen fordert nach dem aus seiner Sicht so erfolgreichen Votum für den Großen Lauschangriff weitere Mitgliederentscheide. Auch in den Fragen der europäischen Währungsunion und der doppelten Staatsbürgerschaft soll die Basis die zu liberalen Parteitagsdelegierten und die Parteiführung korrigieren.

Dem ehemaligen Generalbundesanwalt von Stahl räumt Parteichef Gerhardt in Berlin offensichtlich wenig Chancen ein, dessen Zielen erteilt er in milder und allgemeiner Form eine Absage. Er habe immer gesagt, „daß wir erheblich an Kompetenz und Ansehen verlieren würden, wenn wir den Marsch in eine solche Richtung antreten würden“. Auch an dem Fahrplan für die Währungsunion will er, im Gegensatz zu Kappel, nicht rütteln lassen, sondern im Gegenteil die FDP als zuverlässige Europapartei profilieren. Aber daß von Stahl und Kappel nun mit ihren Vorstößen überhaupt so viel Beachtung finden, sehen auch FDP-Insider als Zeichen des Zerfalls der Partei. „Wenn die Sonne tief steht, werfen auch kleine Äste lange Schatten“, charakterisiert ein FDP-Vorstandsmitglied den Gegensatz von Substanz und Wirkung in den Vorstößen der Nationalliberalen.

Den demonstrativ zur Schau getragenen Optimismus des Parteichefs teilen offenbar die wenigsten. Denn während Generalsekretär und Schnellsprecher Guido Westerwelle seine Partei „nach innen geschlossen, nach außen entschlossen und kämpferisch“ sieht, berichten Insider von „inneren Kündigungen“ vieler Parteifunktionäre: „Die Leute haben keine Lust mehr, Infostände zu machen und dabei von eigenen Mitgliedern beschimpft zu werden.“

Nur als Zerfallserscheinung ist auch die Konjunktur der parteiinternen „Kreise“ zu verstehen, die nun mit eigenen Rezepten die ganze Partei retten wollen: Der Parteivorsitzende warnt davor, daß die in die linksliberalen Freiburger, die marktliberalen Heppenheimer und die Nationalliberalen zerfallende Partei doch keine „Aktiengesellschaft“ sei, an der jeder nur seine eigenen Anteile halte, die aber kein Ganzes darstelle. Aber für das Ganze stehen auch Partei- und Fraktionsführung nicht mehr: „Eine ganz kleine Clique von grauen Leuten klammert sich an die Macht“, klagt ein Vorstandsmitglied über die Mutlosigkeit gegenüber dem Koalitionspartner: „Die wollen von der Union wieder rausgezogen werden aus dem Schlamassel, in die die Union die FDP doch erst gebracht hat.“ – Der so demonstrativ optimistische Parteichef Gehardt hat nicht einmal an dem Tag das Deutungsmonopol über die FDP, da er mit einer Pressekonferenz das für ihr Überleben so wichtige Jahr einläuten will.

Während er echte oder vermeintliche Erfolge seiner Partei in der Koalition aufzählt und dabei nur eine ganz bescheidene Liste zusammenbekommt, nehmen führende Liberale in Interviews über die eigene Partei und die Koalition kein Blatt mehr vor den Mund.

Die FDP-Fraktion, so kritisiert Ex-Ministerin Irmgard Schwaetzer im Stern, dürfe sich „nicht länger als Nasenbär der CDU herumführen lassen“. Und Ex-Minister Otto Graf Lambsdorff wirft Kohl in der Woche „mangelnden Führungswillen“ bei wichtigen wirtschafts- und sozialpolitischen Einschnitten vor: „Er schwebt weit oben, Europa, Weltpolitik – ist ja alles richtig. Aber wenn uns hier Treibsand unter den Füßen entsteht, dann kann ich nur hoffen, daß er den Ernst der Lage erkennt.“

Wenn die Meldungen über die Pläne der Union für Neuwahlen und absolute Mehrheiten stimmen, hat Kohl den Ernst der Lage vielleicht doch erkannt. „Spekulationen“ und „blauer Dunst“ nennt Gerhardt diese Meldungen. „An die Adresse des Koalitionspartners“ mahnt er aber trotzdem öffentlicht, „Träume von absoluten Mehrheiten“ rasch zu begraben.

Die Bonner Koalition soll die FDP nach dem Willen ihres Vorsitzenden auch für den Fall fortsetzen, daß die drei Wahlen im März in die Hose gehen. Aber diese Fortsetzung der Koalition, so weiß Gerhardt, ist dann nicht mehr die Entscheidung seiner eigenen Partei. Und so weigert sich der Optimist denn auch hartnäckig, Fragen nach seiner eigenen Zukunft nach einer Wahlniederlage im März zu beantworten: „Könnten Sie mir die Frage nach dem 24. März noch einmal stellen?“

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