Wanzen rein, Justizministerin raus

■ FDP-Basisentscheid befürwortet den Großen Lauschangriff. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger tritt zurück

Bonn (taz) – Wo „Liberalismus“ draufsteht, muß noch lange kein Rechtsstaats- Liberalismus drin sein: Fast zwei Drittel der FDP-Mitglieder sprachen sich in einer Mitgliederbefragung für den Großen Lauschangriff aus. Ihr Votum bedeutet eine klare Absage an Arbeit und Programmatik der FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die linksliberale Politikerin erklärte kurz nach Bekanntwerden der Entscheidung ihren Rücktritt. Sie könne, so die Ministerin mit tränenerstickter Stimme, keine Politik vertreten, die mit ihren liberalen Grundsätzen unvereinbar sei.

Das Ergebnis des ersten liberalen Mitgliederentscheids gab FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle gestern in Bonn bekannt. Danach stimmten 63,6 Prozent für die Möglichkeit, zur Bekämpfung organisierter Kriminalität auch in Privaträumen und Wohnungen heimlich elektronische Wanzen zu installieren; 35,7 Prozent lehnten dies ab. Von den rund 80.000 FDP-Mitgliedern hatten rund 43 Prozent ihr Votum abgegeben.

Auf zwei Parteitagen hatten FDP-Delegierte den Großen Lauschangriff abgelehnt. FDP-Chef Wolfgang Gerhardt setzte trotzdem einen Mitgliederentscheid an – nach Meinung der Justizministerin mit dem Ziel, das heikle Thema mit allen Mitteln „abzuräumen“.

In der Entscheidung für den Großen Lauschangriff sieht Leutheusser-Schnarrenberger zugleich ein Indiz für einen Richtungswechsel in der Innen- und Rechtspolitik und einen Schritt zu einem konservativen Schutzstaat. „Freiheit, die ich meine, ist nicht teilbar, sagte sie bei einer Pressekonferenz gestern nachmittag. Von einem Parteiaustritt will „Schnarri“ dennoch nichts wissen. Ihre politische Zukunft sehe sie weiter in der FDP, und zwar an der Seite derer, die gegen eine opportunistisch verengte Politik stritten. Dies meine sie auch als Signal an all diejenigen, die jetzt an Parteiaustritt dächten. Die 44jährige Politikerin hatte das Justizministerium im Mai 1992 als Nachfolgerin von Klaus Kinkel übernommen, der damals ins Außenministerium wechselte.

Auch Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch, einer der profiliertesten Rechtspolitiker in Bonn, zog gestern prompt die Konsequenz: Er legte sein Amt als innenpolitischer Sprecher der FDP- Fraktion nieder und gehört nun auch nicht mehr dem Innenausschuß des Bundestages an. Zur Begründung sagte Hirsch, die Entscheidung stehe im Widerspruch zu seiner persönlichen Überzeugung und zur Wahlaussage der Liberalen.

In Bonn wurde gestern erwartet, daß der 54jährige Kieler Rechtsprofessor und Bundestagsabgeordnete Edzard Schmidt- Jortzig neuer Justizminister wird. Am Abend wollten Bundesvorstand sowie Fraktion der FDP gemeinsam über die Besetzung des Amtes entscheiden. Nicht ausgeschlossen wurde in Parteikreisen, daß es bei der Sitzung auch eine neue Diskussion über Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt geben werde. Rexrodt sei innerhalb der Fraktion weiterhin umstritten.

Erwartungsgemäß begrüßt wurde das FDP-Votum von den Unionsparteien. CDU-Generalsekretär Peter Hintze sagte, der Schulterschluß bei der inneren Sicherheit sei eine klare Demonstration für die weitere Arbeit der Koalition. Positiv äußerte sich auch die Gewerkschaft der Polizei. Die Mitglieder der FDP an der Basis hätten das Ausmaß der Bedrohung durch die organisierte Kriminalität realistischer eingeschätzt als Teile der Parteiführung. Der innenpolitische Sprecher der SPD, Ulrich Maurer, warnte dagegen, die neue FDP-Position weise nicht die erforderlichen rechtsstaatlichen Sicherungen gegen Mißbrauch beim Abhören auf. Die Vorstandssprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin und Krista Sager, werteten das Ergebnis der Mitgliederbefragung als „Selbstdemontage der FDP“. Damit beschränke sich diese Partei in Zukunft auf wirtschaftsliberale Klientelpolitik. Hans Monath Seite 2