„Bei uns werden wieder die Koffer gepackt“

■ Der Rechtsextremismus-Experte Heribert Schiedel über Jörg Haider und seine Freiheitlichen, die Briefbomben-Anschläge und die Reaktionen der Öffentlichkeit

taz: Der Schriftsteller Robert Menasse wirft der österreichischen Linken „Katastrophismus“ vor. Seinen schreibenden Kollegen Peter Turrini und Elfriede Jelinek unterstellt er, mit einer Art Exilschriftstellerei zu kokettieren.

Heribert Schiedel: Das ist zynisch. Bei Veranstaltungen zum Thema Haider höre ich öfter junge, engagierte Menschen übers Auswandern reden. Aber auch Ältere, schon einmal Exilierte, reden davon. Vor allem Leute aus der jüdischen Gemeinde. Bei uns werden wieder die Koffer gepackt.

Haben Sie Angst vor Haider und seiner Freiheitlichen Bewegung als Regierungspartei?

Ob Haider nach dem nächsten Sonntag in der Regierung mitmischt, hängt ganz von der Österreichischen Volkspartei ab. Deren Wirtschaftsflügel hat zumindest angedeutet, daß er sich eine schwarz-blaue Koalition vorstellen kann – aber ohne Haider. Der ist gegenüber dem Ausland noch nicht durchsetzbar. Aber nach einer Übergangsregierung ist Haider dann als Kanzler durchaus denkbar. Der Weg in die Haidersche „Dritte Republik“ wird nicht von heute auf morgen kommen.

Mit welchen Gefühlen sehen Sie den Wahlen entgegen?

Keinesfalls gelassen. Oft genug haben Haider und seine „Buberl- Partei“ uns Gewalt in Aussicht gestellt. „Pfeift's nur“, hat Haider uns Demonstranten zugerufen, „wenn ich an der Macht bin, dann habt ihr keine Luft mehr zum Pfeifen!“ Und sein Obmann von Oberösterreich kündigte an: „Die Dritte Republik wird für Antifaschisten gefährlich sein.“ Drohungen von denen gibt es genug. Mein Kollege, der Rechtsextremismus-Experte Wolfgang Purtscheller, mußte Österreich verlassen. Er wurde in Bekennerschreiben mehrfach als nächstes Ziel genannt. Selbst die Polizei riet ihm, zu verschwinden. Das hat er dann getan.

Drohungen sind das eine – glauben Sie ernsthaft, daß sie wahrgemacht werden?

Natürlich darf man sich das nicht so vorstellen, daß der Staat mit Haider an der Spitze auf uns einschlägt. Was ich befürchte, ist eine Nacht der langen Messer. Daß Haiders Anhänger bei der Siegesfeier durchknallen. Nach seiner Wahl zum Landeshauptmann von Kärnten haben seine Leute die Klagenfurter Rundfunkstation besetzt. Die wollten dafür sorgen, daß „in den Redaktionsstuben nicht mehr soviel gelogen wird“.

Mehr als ein Viertel der Österreicher will Jörg Haider wählen. Eine Bajuwarische Befreiungsfront verschickt regelmäßig Briefbomben. Wie ist so etwas im gemütlichen Österreich möglich?

Die militanten Neonazis waren in Österreich schon immer groß. Denken Sie nur an die Österreicher, die im italienischen Südtirol bombten, oder den Österreicher Gottfried Küssel, der als Nachfolger von Michael Kühnen im Osten der BRD die rechte Szene organisierte. Mehr als 50 österreichische Söldner sollen im Krieg im ehemaligen Jugoslawien engagiert sein.

Und die Wahlerfolge?

Einige sagen, die Leute gehen Haider auf den Leim: Das sind alles Protestwähler, Irregeleitete, die sich für einen Rechtspopulisten begeistern, der Mißstände aufgreift. Haider sagt klipp und klar, er will in Österreich „ausmisten“, das „Sozialschmarotzertum“ beenden, die „Ausländerflut stoppen“. Der größte Teil der Haider-Wähler weiß genau, wen und was er wählt. Aufklärung hilft da nicht mehr.

Das klingt resigniert.

Eigentlich ist das eingetreten, was wir immer im Kopf hatten: Der Rechtsextremismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Jetzt können wir politisch aber nicht damit umgehen. Wir sind ratlos.

Woher kommt das rechtsextreme Potential, das Sie in der Bevölkerung vermuten?

Als die Alliierten in den Jahren 1946/47 die Bevölkerung mit Filmen über den Nationalsozialismus aufklären wollten, sind die Leute im Kino oftmals aufgestanden und haben „Heil Hitler!“ gebrüllt – nach Bildern über die Vernichtung der Juden wohlgemerkt. 1945 war für die Österreicher keine Befreiung, die kam für viele erst 1955, als die Alliierten abzogen. Noch zwei Beispiele: Bruno Kreisky, der berühmte SPÖ-Kanzler, hatte drei ausgewiesene Ex-Nazis in seinem Kabinett. Walter Reder, der NS- Kriegsverbrecher und Schlächter von Marzoboto, wurde vom österreichischen Verteidigungsminister per Handschlag am Salzburger Flughafen zurück in der Heimat begrüßt. Das hatte eine enorme Symbolkraft. Und dann der Waldheim-Skandal. Das muß die politische Kultur beeinflussen.

Was machen die, die gegen Haider sind? Immerhin wollen 70 Prozent der Österreicher eine andere Partei wählen.

Demonstrationen gegen Haiders Wahlkampfreden sind gefährlich. Seine Anhänger, meist in der Überzahl, prügeln auf die Demonstranten ein, ein Anti-Haider-Plakat reicht schon. Briefbomben tun das übrige. Menschen, die Flüchtlingsarbeit machen, haben Angst. Ein Pfarrer, der, bevor er eine Briefbombe bekommen hatte, für eine humane Flüchtlingspolitik gekämpft hat, ist jetzt mundtot. Viele sind eingeschüchtert.

Und Sie und Ihre Kollegen Publizisten, die seit Jahren gegen Haider anschreiben?

Ach ja, wir. Was uns bleibt, ist, die Christlichen, die Humanisten, die Sozialpatrioten auch aus der ÖVP aufzuklären oder auch anzuflehen: Ja nicht mit dem Haider!

Wer steckt hinter der Bajuwarischen Befreiungsfront (BBA), die bombt und mordet?

Die Bomber kommen aus dem Burschenschaftsmilieu. Es gibt einen Kontakt zur militanten Neonazi-Fraktion in Deutschland. Eines wird aber immer deutlicher: Es muß jemand aus dem österreichischen Staatsapparat dabei sein, entweder aus der Polizei oder dem Innenministerium oder militärischer Geheimdienst, der Zugang zu Verschlußsachen hat. Das Gespräch führte

Markus Götte