„Damals bildete sich die Regierung schneller“

■ Historische Edition der Sitzungsprotokolle des Berliner Magistrats von 1945/46

Während sich gerade im Preußischen Landtag das neue Abgeordnetenhaus konstituierte, erinnerte eine Feierstunde in der Senatsverwaltung für Gesundheit an die konstituierende Sitzung des Nachkriegsmagistrats vor 50 Jahren an just demselben Ort. Im „Stadthaus“ in der Parochialstraße trafen am 19. Mai 1945 unter anderem der sowjetische Stadtkommandant Nikolai Bersarin, Walter Ulbricht als Führer der deutschen Kommunisten, Ferdinand Sauerbruch als Stadtrat für Gesundheit und der im kulturellen Wiederaufbau tätige Heinz Rühmann aufeinander. Die erst seit dem Mauerfall wieder zugänglichen Protokolle der Magistratssitzungen, die nun in einer gewichtigen Edition des Berlins Verlags erschienen sind, wurden gestern im historischen Sitzungssaal der Öffentlichkeit vorgestellt.

„Derzeit zieht sich die Bildung einer Landesregierung über längere Zeit hin als 1945“, entschuldigte ein Vertreter der Senatsverwaltung für Kultur seinen im Preußischen Landtag weilenden Chef. Damals brauchte es nach der Kapitulation Deutschlands am 2. Mai trotz des Nachkriegschaos nur zwei Wochen bis zur Vorstellung des neuen Magistrats. Walter Ulbricht, der genau am Tag des Kriegsendes in Berlin eingetroffen war und die Mitglieder des Magistrats eigenhändig aussuchte, hatte mit seiner zehnköpfigen Kadertruppe schon vorher in Moskau gründliche Vorbereitungen getroffen: „Wir haben alle Details ausgearbeitet.“

Die Gruppe Ulbricht wollte jedoch bewußt den Eindruck kommunistischer Dominanz vermeiden. Die Männer, die Ulricht zusammensuchte, sollten eine breite antifaschistische Koalition präsentieren. „Von 18 Magistratsmitgliedern“, berichtete Dieter Hanauske als Bearbeiter der Edition, „gehörten sechs der KPD an, zwei der SPD, einer der CDU, sieben waren parteilos.“ Dennoch habe die KPD die Vorherrschaft im Magistrat ausgeübt. Der parteilose Oberbürgermeister Arthur Werner habe eigentlich nur repräsentiert, während die Magistratsleitung in den Händen seines Stellvertreters Karl Maron lag. Der KPD-Mann Maron, Stiefvater der Schriftstellerin Monika Maron, avancierte später zum DDR-Innenminister. Auch andere Schlüsselpositionen verblieben in kommunistischer Hand.

Die im Original 950 Seiten umfassenden Protokolle vermitteln en detail die ungeheuren Schwierigkeiten des Wiederaufbaus. Mit einem täglichen 16-Stunden-Pensum kämpfte der Magistrat gegen drohende Hungersnöte, Seuchen und Wohnungsnot. Die Zeiten waren ungleich dramatischer, und dennoch kommt einem bekannt vor, was das Protokoll am 30. November 1945, also vor genau 50 Jahren, über das Haushaltsdefizit Berlins verzeichnet: „Ein weiterer Antrag geht dahin, den städtischen Kredit... zu erhöhen.“ Ute Scheub

„Die Sitzungsprotokolle des Magistrats der Stadt Berlin 1945/46“. Berlin Verlag, 790 Seiten, 98 DM