„Im Bürgerkrieg verheizt und danach beraubt“

■ Dokumentation eines Essays von Ken Saro-Wiwa über die Interessen der Ölindustrie und die Politik der nigerianischen Regierung gegenüber den ethnischen Minderheiten

(...) Ich appelliere an die Bevölkerung des Deltas, im gerechten Kampf für ihre Rechte auf jegliche Gewalt zu verzichten. Ich glaube, daß die Geschichte auf ihrer Seite ist. Aber die Ogoni stehen einem Konzern gegenüber, dessen Management rassistisch und grausam dumm verfährt. Shell verfolgt die Absicht, den nigerianischen Ethnozentrismus zum eigenen Vorteil zu nutzen. Und ich bin nicht sicher, ob die nigerianische Polizei es verstehen wird, auf die brenzlige Situation anders als mit brutaler Gewalt zu reagieren. Jede Form von Gewalt wird daher nur Blutvergießen und zahllose Opfer nach sich ziehen.

Andererseits müßte die Regierung schon großen politischen Scharfsinn an den Tag legen, wenn eine gerechte Übereinkunft erzielt werden soll. Die Versäumnisse der letzten zwanzig Jahre waren kriminell, und das Unrecht, das der Bevölkerung des Deltas angetan wurde, ist gewaltig. (...)

Wir haben es im Delta nicht einfach nur mit einem Ölproblem zu tun, das Problem ist ein politisches. Die Bevölkerung dort fühlt sich von der nigerianischen Regierung betrogen: im Bürgerkrieg als Kanonenfutter verheizt und danach beraubt. Die Wut darüber wird sich nicht so leicht besänftigen lassen. Und dafür gibt es zwei wichtige Gründe:

Erstens gewährt die nigerianische Verfassung ethnischen Minderheiten keinen Schutz – die Menschenrechtsbestimmungen schützen nur Individuen. Die Gemeinschaften, die die Föderation bilden, genießen folglich keinen verfassungsmäßigen Schutz – für sich, ihr Eigentum und ihre Institutionen. Als Folge dessen mißbrauchen die zahlenmäßig größten Ethnien ihre Überlegenheit, um auf den Minderheiten herumzutrampeln. Zweitens geht es um die Verteilung staatlicher Einkünfte. Öl steht derzeit im Zentrum des nigerianischen Föderalismus. Bevor Öl zur Haupteinnahmequelle wurde, war Herkunft das entscheidende Prinzip für die Verteilung der Mittel: Die Ursprungsregion erhielt 50 Prozent aller Einkünfte, die sie erwirtschaftete. Mit dem Geld, das mit Kakao verdient wurde, konnten beispielsweise die Yoruba alle Yoruba-Kinder kostenlos ausbilden. Sie sind es, die heute Führungspositionen in Industrie, Handel und Politik innehaben.

Heute jedoch ist Öl Nigerias Haupteinnahmequelle – und das Öl lagert vor allem unter dem Territorium der Minderheiten. Das Herkunftsprinzip aber ist inzwischen zum Nutzen der großen Ethnien aufgegeben worden. Die föderale Regierung verwendet einen Großteil der Einnahmen aus dem Ölgeschäft für soziale Projekte in Regionen ohne Öl. Eine solche Diskriminierung kann am Ende nur zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. (...)

Ich möchte glauben, daß die Nigerianer einen Krieg im Delta vermeiden wollen. Wenn das so ist (...), muß die föderale Regierung neue Gesetze erlassen. Gesetze, die die Interessen derer, die auf dem Ölland leben, berücksichtigen. Außerdem sollte sie den Landbesitzern Tantiemen aus dem Ölgeschäft zugestehen. Auch muß der Schlüssel für die Verteilung der Einkünfte überprüft werden. Bürger aus den Ölgebieten müssen im Vorstand der Ölfirmen vertreten sein und die Gemeinden vor Ort beteiligt werden. Schließlich muß der Bevölkerung des Deltas erlaubt werden, sich am Verkauf von Rohöl zu beteiligen.

Nur so kann die Katastrophe verhindert werden, die im Delta droht. Hört irgend jemand zu?

(1991 erschienen in Ken Saro- Wiwas Sammelband „Similia“)