„Grundwerte dürfen nicht gekippt werden“

■ Ludger Volmer zum Grundsatzstreit über grüne Außenpolitik vor dem Bundesparteitag

taz: Sie haben sich am vergangenen Wochenende gemeinsam mit anderen führenden Linken in einem Brief zur Außenpolitik an die Mitglieder der Grünen gewandt und damit das gleiche Mittel gewählt wie Joschka Fischer im Sommer. Warum?

Ludger Volmer: Es geht uns um die These Joschka Fischers, wonach die UN bei Völkermord eine Interventionspflicht haben soll. Wir fürchten folgendes Szenario: Der von uns vorgelegte Antrag bekommt bei der Bundesdelegiertenversammlung in vier Wochen zwar eine Mehrheit und gilt als Grundlage der Debatte. Aber nach einem kurzen, emotionalisierenden Redebeitrag wird dann Joschka Fischers Völkermordklausel in unseren Antrag hineingestimmt. Anschließend heißt es, die Grünen hätten eine „Türöffnerklausel“ akzeptiert, mit der im Grunde alle Militäreinsätze möglich seien. Wir haben einen Brief geschrieben, weil er uns eine ausführliche Argumentation ermöglicht. Die Gefahr wird damit geringer, daß auf dem Parteitag über einen Appell an die Gefühle innerhalb weniger Minuten das Gesicht der Grünen verändert werden kann.

Warum der harte Ton und der Vorwurf, Fischer laufe Gefahr, grüne Positionen zu verraten?

Der Brief setzt sich ausschließlich mit der inhaltlichen Position auseinander. Das ist kein Angriff auf eine Person oder deren Status. Aber wenn Joschka Fischer mit dem Gewicht seiner Popularität eigene Thesen publiziert, die dann in der Öffentlichkeit als Standpunkt der Bündnisgrünen wahrgenommen werden, dann müssen wir dieses Vorgehen auch angreifen können.

Warum ist die Auseinandersetzung um die Außenpolitik auf dem Parteitag für Sie so wichtig?

Gewaltfreiheit ist ein Grundwert der Bündnisgrünen. Wir haben vor fünf, sechs Jahren erlebt, daß Teile der Partei einen anderen Grundwert über Bord kippen wollten, den des Sozialen, um aus den Grünen eine ökologisch-liberale Partei zu machen. Eine ähnliche Gefahr droht nun, wenn die Gewaltfreiheit zur Disposition gestellt wird. Die Richtung von Joschka Fischers Argumentation läuft praktisch darauf hinaus, diesen Grundwert in Frage zu stellen.

Mit starken Worten erteilen Sie in Ihrem Antrag militärischer Gewalt als Mittel der Politik eine Absage, aber Deutsche sollen bewaffnet an friedenserhaltenden Blauhelmeinsätzen und an Embargoüberwachung teilnehmen. Ist das kein Widerspruch?

Wir unterscheiden multilateralen Zwang und militärische Gewalt. Wir wollen weg vom traditionellen Militär als selbsternanntem Friedensstifter. Wir sehen aber auch, daß man in der Weltgesellschaft nicht nur mit guten Worten operieren kann, sondern daß es immer Schurken gibt, die nur auf Zwang reagieren. Wir suchen nun nach Methoden, solche Ganoven zur Räson zu bringen, ohne daß damit das traditionelle Militär in seiner Rolle bestätigt wird. Schon die Existenz von nationalstaatlichem Militär für sich genommen ist einer der Gründe für die Entwicklung von heißen Konflikten – es ist im Prinzip Teil des Problems und nicht die Lösung.

Ihnen wird vorgeworfen, Sie persönlich seien im Antrag hinter frühere Positionen zurückgefallen. Was ist mit dem „robusten Mandat“?

Ich habe diesen Begriff nie verwendet. Es gibt eine Grauzone bei friedenserhaltenden Missionen, wenn sich Blauhelme wehren müssen. Man muß dies als Problem akzeptieren, ohne aber ja zur Friedenserzwingung zu sagen. Es steht im Antrag zudem, daß Blauhelme berechtigt sein sollen zur individuellen Notwehrhilfe, die ihnen in Ex-Jugoslawien nicht erlaubt war. Wenn also der Fall eintritt, daß Soldaten einer Blauhelmmission miterleben, wie Menschen in ihrer Nähe massakriert werden, muß es ihnen möglich sein, wie im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verlangt, einzugreifen.

Warum zieht sich durch Ihren Antrag ein Mißtrauen speziell gegen Eskalationsrisiken deutscher Außenpolitik, während anderen Nationen Aufgaben zugestanden werden, die die eigenen Landsleute nicht machen sollen?

Ich sehe die umgekehrte Entwicklungsrichtung in unserem Papier gegenüber unserer bisherigen Progammatik, die verlangte, die Deutschen sollten sich völlig raushalten. Wir stehen dazu, daß Deutschland sich beteiligen muß an internationalen Konfliktlösungsmaßnahmen. Aber einmischen heißt nicht, sich den heute gängigen Mechanismen zu unterwerfen. Wir lassen uns auch nicht sagen, daß jeder, der sich diesen Mechanismen nicht unterwirft, einen „Sonderweg“ wünscht. Interview: Hans Monath