Genau hinhören

■ "Das große Schweigen" - der erste deutsche Film über die Bordelle in NS-Konzentrationslagern (23.00 Uhr, ARD)

„Die ganz Hübschen kamen in SS-Bordelle. Die Zweitschönen in Militärbordelle. Die Schlechtesten in Häftlingsbordelle“, erzählt eine ehemalige KZ-Insassin über die Zwangsprostitution im Nationalsozialismus. „Wenn sie zurückkamen, waren sie Ruinen.“

Die männlichen Interviewpartner der beiden Filmemacherinnen Maren Niemeyer und Caroline von der Tann erinnern sich an ganz anderes: „Tolle Weiber waren das, nachdem sie rausgefüttert worden sind“, sagt ein ehemaliger kommunistischer Kapo aus Buchenwald. Und zwei französische KZ- Häftlinge wären sogar gerne an der Stelle der Frauen gewesen. Die sahen schließlich gut aus, bekamen genug zu essen, ihre Gesichter wurden mit Höhensonne bestrahlt, und ihre Baracke war für KZ-Verhältnisse geradezu luxuriös zu nennen.

Passend zur mehrfachen Bedeutung des 9. November läuft der halbstündige Film über Bordelle in Konzentrationslagern heute im ersten Programm der ARD. Denn das Ende der DDR hat auch Neues über den Nationalsozialismus zutage gefördert, wie etwa jene Verhörprotokolle der KPD mit Parteimitgliedern, die in Konzentrationslagern eingesessen hatten – und dort regelmäßig im Puff gewesen waren.

SS-Führer Heinrich Himmler hatte 1941 bei einem Besuch im KZ Mauthausen den Bordellbesuch als Prämie für Häftlinge ausgelobt. Damit wollte er die Arbeitsleistung im Lager steigern und die Homosexualität bekämpfen, die sich in der abgeschlossenen Männerwelt ausbreitete. Zwei Mark kostete ein Besuch, 1,80 gingen angeblich in die SS-Kasse, 20 Pfennig an die Prostituierte, so ist der akribischen Buchführung der Nazis zu entnehmen. „Wenn ich das Geld bekommen hätte, wäre ich eine vermögende Frau geworden“, sagt die Frau, die im Film unter dem Pseudonym Gerda Brendel auftritt.

Sie ist eine der beiden deutschen Zwangsprostituierten, die sich zum ersten Mal im Fernsehen über ihre Erfahrungen in den Bordellen der Konzentrationslager äußern. Eigentlich hat sie ihre Geschichte schon früher erzählt, und zwar dem japanischen Fernsehen. Einige der Aufnahmen, die heute abend zu sehen sind, haben japanische Untertitel.

Zwangsprostitution im Zweiten Weltkrieg – das ist in Japan im Gegensatz zu Deutschland ein Politikum, seit 1991 die ersten koreanischen Zwangsprostituierten das Schweigen brachen. Über 200.000 Koreanerinnen mußten in Bordellen der japanischen Militärlager arbeiten. Seit drei Jahren demonstrieren Überlebende jeden Mittwoch vor der japanischen Botschaft in Korea, verlangen Entschädigung, Entschuldigung und Erwähnung in japanischen Schulbüchern.

Zu den 50-Jahre-Gedenkfeiern von Buchenwald sind alle ehemaligen Häftlinge eingeladen worden, nur nicht Gerda Brendel. Sie ist nicht als „Verfolgte des NS-Regimes“ anerkannt und hat bisher nur für ihre Zwangssterilisation eine Entschädigung bekommen: 5.000 Mark. „Ein Trinkgeld“, sagt sie, und sitzt in ihrer kleinen vollgestopften Sozialwohnung in Hamburg. Endlich kann sie reden. „Ich habe etwas in mir, was sich wehrt. Damals mußte ich den Mund halten.“

Die heute 76jährige galt bei den Nazis als „Asoziale“, wurde erst in Erziehungsheime gesteckt und später zu Zwangsarbeiten eingeteilt. Als man sie mit 24 Jahren ins Bordell nach Buchenwald brachte, war Gerda Brendel nicht einmal aufgeklärt. „Begriffen habe ich erst bei den Prügeln, weil ich mich so dumm angestellt habe.“

Nur an einer Stelle will sie nicht weiterreden – als es um das SS- Bordell geht. Die SS-Männer durften ihre sexuellen Perversionen nach Belieben an den Frauen auslassen. Gerda Brendel mißhandelten sie so, daß ihre rechte Brust amputiert werden mußte. „Dafür muß man sich heute noch schämen, daß man so mißbraucht wurde“, sagt sie.

Anders als die SS-Männer hatten die „prämierten“ KZ- Häftlinge in 15 Minuten fertig zu sein und wurden durch einen Schlitz in der Tür überwacht. „Da wurde nicht gesprochen, nicht mal übers Wetter“, erinnert sich Gerda Brendel. Den Männern, die ins Bordell kamen, sei sie nicht böse, sagt Annie Kramer, die zweite Zwangsprostituierte, die in dem Film zu Wort kommt. Und erzählt, daß die Frau eines Häftlings ihm aus Danzig fünfzig Pfennig fürs Bordell schickte. „Bis nach Polen wußte man also davon.“

Danach vergaß man es dann wohl lieber. Die einzigen, die sich seither immer wieder damit beschäftigen mußten, sind die überlebenden Frauen. Und das gibt einen eindringlichen Kontrast zu den Sprüchen der ehemaligen KZ- Häftlinge, die in dem Film interviewt werden. Die geben nicht direkt zu, selbst ins Bordell gegangen zu sein. Da muß man schon ganz genau hinhören. Karin Gabbert