In gehobenen Diensten

Elite-Azubis oder: Wie wird man eigentlich DiplomatIn?  ■ Von Sandra Weiss

Auch während der Regenzeit im tiefsten Afrika trägt er stets Anzug und Krawatte. Er gehört zum alten deutschen Adel. Beim Empfang durch den Staatspräsidenten nippt er vornehm am Champagnerglas und grüßt die Gastgeberin formvollendet mit: „Habe die Ehre, gnädige Frau.“ Ihrem Gatten erklärt er bei der gemeinsamen Golfpartie lächelnd und in perfektem Französisch, daß sich die Bundesregierung aufgrund von Budgetengpässen leider in der mißlichen Lage befände, die Entwicklungshilfe vorübergehend kürzen zu müssen. Der Diplomat. So stellte ihn sich Marschall von Blücher vor, als er die kaiserlichen Gesandten als „Rotte boshafter Faultiere“ beschimpfte. So ist er in vielen Büchern und Filmen verewigt. So gibt es ihn noch. Manchmal.

Fremdsprachen, Abenteuerlust und eine gute Kinderstube reichen heute allerdings nicht mehr, wenn man Botschafter werden will. Motivation, Initiative, Flexibilität, Ausgeglichenheit, Kontaktfähigkeit, körperliche und geistige Belastbarkeit – das sind die Eigenschaften des modernen Diplomaten, so zu lesen in den Broschüren des Auswärtigen Amtes (AA) „Hinweise für Bewerber“. Und: „Bei der Entscheidung, im Auswärtigen Dienst zu arbeiten, handelt es sich eher um eine Lebens- als um eine Berufsentscheidung...“

Haltestelle „Diplomatenschule“ im Bonner Villenvorort Ippendorf. Zwischen Altersheim und Reihenhäusern ein vierstöckiger, kleeblattförmiger Betonklotz. Umgeben von einem hohen Zaun und streng bewacht. „Immerhin wurde hier in der Nähe Gero von Braunmühl ermordet“, erläutert der Pförtner. Gut behütet sind die Nachwuchsdiplomaten in ihrer Aus- und Fortbildungsstätte (AFS), denn die meisten lernen und essen hier nicht nur, sondern bewohnen auch eines der rund 150 preisgünstigen „Einzelzimmer mit Naßzelle“. AA-Kultur rund um die Uhr. Wer will, kann hier auch noch abends an Vorträgen und Vernissagen teilnehmen und sich im Small talk üben. Teilnahme ist nicht Pflicht, aber „erwünscht“. Natürlich in situationskonformer Kleidung – so die Sprachregelung der Ausbildungsleitung.

Vormittag, Unterrichtspause: Zwei Dozenten in Nadelstreifenanzügen schreiten zielstrebig in Richtung Kantine. Im Foyer hängt ein Porträt Roman Herzogs. Dahinter eine modern durchgestylte Sitzgruppe mit schwarzen Lederpolstern und viel Chrom, Zeitungen aus der ganzen Welt und – im Brennpunkt des Interesses – die Postfächer. Gedränge, Gelächter, aufgeregte Diskussionen, beinahe wie an einer normalen Uni. Nur wenig Dialekt ist zu hören, dafür: „Bonjour, comment vas-tu?“ – „Bien, et toi?“ – „Reich mir bitte mal die Herald Tribune!“ – „Das ist mein letzter Tag hier oben.“ – „Denk daran, genügend Backhefe nach Ulan Bator mitzunehmen“, tönt es wild durcheinander.

Was hat die jungen Leute aus ganz Deutschland dazu gebracht, Familie und Freunde zu verlassen, um künftig als Diplomat alle drei Jahre Wohnort und Bekanntenkreis zu wechseln? Die Aussicht auf Prestige, einen Diplomatenpaß und viel Geld? „Ich liebe Sprachen, will ins Ausland und trotzdem einen sicheren, qualifizierten Job haben“, erklärt die 19jährige Julia Hiltner aus Bayern. Sie ist Konsulatssekretärsanwärterin im gehobenen Dienst (im Fachjargon Kasa genannt) und wurde im Oktober zur dreijährigen Ausbildung eingestellt. Fast 1.400 junge Leute hatten sich beworben, doch nur 140 bestanden den schriftlichen Test, in dem Allgemeinwissen, Englisch und Französisch abgefragt wurden. Anschließend mußten sie sich einer Auswahlkommission vorstellen. In einem Kurzreferat, einer Diskussion, einem persönlichen Gespräch und einem Aufsatz klopften die Prüfer das „psychologische Profil“ der Kandidaten ab, von denen 55 auserwählt wurden, die sich fortan auf dem „Lehrgangsfoto 94“ im Flur der AFS bewundern können.

„Besonders wichtig ist uns eine korrekte Vorstellung vom Beruf“, erklärt die Ausbildungsleiterin für den gehobenen Dienst, Angelika Storz-Chakarji, gibt aber gleichzeitig zu, daß das Berufsbild des Diplomaten nur schwer zu fassen sei. Zwei „Klassen“ von Diplomaten gibt es: die des höheren Dienstes, für die politische und repräsentative Aufgaben im Vordergrund stehen, und die des gehobenen Dienstes, die als Sachbearbeiter Verwaltungsaufgaben übernehmen. Im höheren Dienst ist ein abgeschlossenes Studium Einstellungsvoraussetzung, im gehobenen Dienst Abitur. Die Akademiker können bis zu dreimal mehr verdienen und sind „eine Gruppe für sich“, behauptet Julia. Auch Frau Storz-Chakarji, die dem höheren Dienst angehört, gibt zu, daß es wenig Berührungspunkte zwischen den beiden Laufbahnen gibt und ein „Aufstieg“ für gehobene Beamte die Ausnahme ist.

Im Arbeitsalltag stehen beide vor ähnlichen Herausforderungen. Mit dem Land müssen sie auch ihren Aufgabenbereich wechseln: von der Pressebetreuung in Paris über den Konsularbeamten in Tegucigalpa zur Kulturarbeit in Accra. Im Zeitalter der Spezialisten sind beim AA Generalisten gefragt und statt passiver Konsumenten der Unterhaltungsindustrie Leute, die an Posten „ohne Freizeitwert“ (sprich in Bürgerkriegs- und Entwicklungsländern) mit „sich selbst zurechtkommen“. Als „internationale Profis im Zeitalter der Globalität“ bezeichnen sich die Diplomaten gerne selbst.

„An manchen Orten, zum Beispiel in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, vertreten nur zwei oder drei Leute die Bundesrepublik, da ist Vielseitigkeit gefragt“, argumentiert Storz-Chakarji, und für einen kurzen Moment geistert Seine Exzellenz, der allmächtige Botschafter wieder durch den Raum. Allerdings hat er heutzutage Konkurrenz bekommen: von den Auslandsspezialisten aus den anderen Ministerien, aus Firmen, Handelskammern, Goethe-Instituten – und dank moderner Kommunikationstechnologien erfährt Außenminister Kinkel heute von CNN schneller, was in Tschetschenien passiert, als von seinem Botschafter in Moskau.

Ein Blick auf den Stundenplan der Kasas zeigt dann auch: Nicht internationale Politik und protokollarische Fragen stehen an erster Stelle, sondern Verwaltungsrecht, öffentliche Finanzwirtschaft, Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen, Konsular- und Paßrecht. Ein Hauch der großen Welt weht aber schon in der Ausbildung: Da gibt es Lehrfahrten nach Brüssel und Den Haag, Sprachkurse in Frankreich und England auf Amtskosten und ein einjähriges Praktikum an einer deutschen Auslandsvertretung.

Traumposten in exotischen Ländern werden nicht immer Wahrheit, das Versetzungskarussell des AA dreht sich nach eigenen Gesetzen, und die Wünsche von rund 2.000 Beamten, die jährlich versetzt werden, können nicht immer berücksichtigt werden. Da kann es leicht zu Frustrationen kommen, wenn man drei Jahre in Nowosibirsk festsitzt, weil man bei Eintritt ins AA unterschreiben mußte, uneingeschränkt versetzungsbereit zu sein. Karriereplanung sei nur schwer möglich, und man sollte jeden Posten als persönliche Herausforderung betrachten, rät Storz-Chakarji. Die dunkelhaarige, elegante Dame aus dem süddeutschen Tuttlingen mußte selbst schon viermal umziehen: von Bonn über New York und Tokio wieder zurück nach Bonn. Auf dem letzten Auslandsposten hat sie ihren Mann kennengelernt – kein Diplomat. „Große familiäre Belastungen haben wir alle“, schränkt sie ein, „eine klassische Zweierbeziehung ist beim AA sicher nicht die Regel.“

Für Frauen ist die Situation ohnehin ungleich schwieriger: Welcher Mann ist schon bereit, alle drei Jahre seinen Job zu wechseln oder gar Hausmann im Ausland zu machen? Als Angelika Storz-Chakarji 1979 in den Vorbereitungsdienst eintrat, waren in ihrem Kurs nur vier der 44 angehenden Diplomaten Frauen. Mittlerweile sind es im gehobenen Dienst zwei Drittel Frauen, die Mehrzahl hat gerade das Abitur hinter sich gebracht. Zwischen zehn und 25 Prozent hören während oder nach der Ausbildung allerdings auf. Auch aus dem Kurs von Julia und Wolfgang haben schon zwei Teilnehmer die Diplomatenschule verlassen.