Der verseuchteste Obstgarten Europas

■ Exumweltminister Moldowas will alle staatlichen Institutionen in die Pflicht nehmen

Sofia (taz) – Prof. Dr. Ion Dediu (60) war von 1990 bis 1994 Umweltminister der Moldowa-Republik und ist Chef der „Ökologischen Partei/Grünen Allianz“, die zum Oppositionsbündnis „Allianz der demokratischen Kräfte“ gehört. Dediu ist Vorsitzender der Umweltkommission des Parlaments und Mitglied des Club of Rome.

taz: Herr Dediu, das Agrarland Moldowa-Republik wurde vor der Unabhängigkeit 1991 „Obstgarten der Sowjetunion“ genannt. Wäre „der verseuchteste Garten Europas“ nicht zutreffender?

Ion Dediu: Doch, die Landwirtschaft ist die Hauptquelle der Umweltverschmutzung. Das sowjetische Regime strebte eine maximale Ausbeutung der Böden an und pumpte übermäßig Mineraldünger, Pestizide und andere Chemikalien in sie. In der Sowjetzeit wurden wir statistisch als die Zone mit den verseuchtesten Böden innerhalb der UdSSR klassifiziert, wobei die offiziellen Statistiken ja noch geschönt waren. Sie können sich vorstellen, daß die Situation viel schlimmer ist. Der Import von Mineraldüngern und Pestiziden ist zwar zurückgegangen. Aber das ist kein politischer Erfolg, wir haben kein Geld.

Hat das etwas an der Umweltverschmutzung geändert?

Zumindest sinkt die Fruchtbarkeit der Böden immer noch. Bei uns findet einer der schlimmsten Bodenerosionsprozesse in Europa statt. Auch deshalb, weil der Anteil des Waldes an der Gesamtfläche nur etwa 6 Prozent beträgt, obwohl 25 bis 30 Prozent normal wären. In der Sowjetzeit wurde radikal gerodet. Beim Trinkwasser liegen wir ganz hinten. Die beiden großen Flüsse Dnjestr und Prut sind mit die verschmutztesten in Europa.

Sie erforschen den Zusammenhang zwischen der Umweltsituation und dem Gesundheitszustand der Bevölkerung. Was haben Sie festgestellt?

Wir haben eine der höchsten Sterblichkeits- und Kindersterblichkeitsraten in Europa. Sehr verbreitet sind bei uns Krankheiten des Verdauungssystems und des Kreislaufes, ebenso Leberzirrhose. Wir haben einen hohen Anteil von Behinderten. Der Zusammenhang zur Umweltverschmutzung, besonders zur Wasserverschmutzung, ist klar wie das ABC.

Die moldowanische Verfassung sieht das Recht auf eine gesunde Umwelt vor. Handelt die Regierung entsprechend?

Für die gegenwärtige Regierung unter Ministerpräsident Andrei Sangheli existiert Umweltverschmutzung nicht. Bis jetzt hat die Regierung keine Strategie für den Umweltschutz entwickelt. Dabei bräuchten wir ein Set von 30 bis 40 Gesetzen, das den ökologischen Code der Moldowa-Republik darstellt.

Das Nationale Institut für Ökologie, dessen Direktor ich bin, hat eine langfristige Umweltschutzstrategie ausgearbeitet. Wir versuchen sie als Gesetzentwurf ins Parlament einzubringen.

Welches sind die Hauptpunkte dieses Programms?

Es sieht eine dauerhafte, verträgliche soziale Entwicklung, unter der Bedingung, das ökologische Gleichgewicht wiederherzustellen. Ohne ein ökologisches Gleichgewicht gibt es keinen wirtschaftlichen und sogar politischen Fortschritt. Deshalb haben wir für alle staatlichen Institutionen aufgelistet, welche Pflichten sie im Umweltschutz haben. Interview: Keno Verseck