Marktverstopfung

■ Die privaten Spartensender haben ihre "natürlichen Gegner" entdeckt: die acht Dritten Programme der ARD

Ja, in Amerika, da läßt sich mit Pay-TV Geld machen. Da haben sich die Leute schon daran gewöhnt, daß sie für Top-Fernsehen auch Top-Preise zahlen müssen. Zum Beispiel schlappe 40 Dollar, nur um den ersten Kampf von Mike Tyson nach dem Knast zu sehen. (Pech, daß der Fight dann nur 89 Sekunden dauerte.) In Deutschland sind solche Preise vorerst noch Alpträume. 17,6 Millionen haben vor einer Woche auf RTL geschaltet, um die mißlungene Revanche von Rocchigiani gegen Henry Maske zu verfolgen. Doch wer hätte dafür 60 Mark hingeblättert?

Immerhin, neun Prozent der Deutschen sind bereit, 50 Mark zusätzlich für neue Fernsehangebote auszugeben, verkündete uns das Forsa-Institut 1994, auf dem Höhepunkt der digitalen und interaktiven Euphorie. Und so war es kein Wunder, daß die Medienkonzerne im letzten Jahr nur so Schlange standen, um rechtzeitig Lizenzen für künftige Pay-Kanäle zu ergattern.

Mittlerweile ist eine erkleckliche Zahl von ihnen auf Sendung: TM 3 für die Frauen, Nickelodeon für die Kids, der Disneykanal Super-RTL, die neuen Musikkanäle Viva 2 und VH-1(„VideoHits“). Doch der Optimismus ist verflogen. Als die Geschäftsführer der Minisender letzte Woche einträchtig auf dem Podium der Münchner Medientage saßen, war die Stimmung eher bedrückt. Nicht, weil sie heute rote Zahlen schreiben. Die sind am Anfang normal und werden vornehm „Anlaufverluste“ genannt. Schlimmer ist, daß viele nicht absehen können, wann es besser wird.

Das nun liegt an der vagen Zukunft des digitalen Fernsehens, jedenfalls in den nächsten Jahren. Wirft Kirch wirklich im nächsten Frühjahr, wie versprochen, ein digitales Paket mit rund 30 neuen Kanälen auf den Markt? Und was ist da drin? Derzeit will Gottfried Zmeck, Leo Kirchs rechte Hand, jedenfalls niemandem verraten, was sich unter der Verpackung bunt-glänzender PR-Arbeit verbirgt. Bei Bertelsmann behauptet man, es sei vor allem heiße Luft – und will sich mit einem eigenen Programmpaket viel Zeit nehmen.

Kein Wunder, daß die Spartensender erstmal auf Distanz zu den eigenen Träumen gehen und sich auf das gute alte analoge Fernsehen besinnen. „Wir müssen analog überleben, statt digital einzugehen“, sagt Jochen Kröhne, Geschäftsführer von TM 3. Und Karl- Ulrich Kuhlo (47), der mit seinem n-tv schon seit Ende 1992 sendet, rät seinen jüngeren Kollegen gar, die digitalen Pläne „für zehn Jahre in den Tresor zu schließen“. Den Paymarkt aufbrechen kann man, meint er, „nur mit direktem Nutzen, zum Beispiel Busineßdiensten oder“ – die Idee kommt natürlich nicht von ihm – „jemand hat mal gesagt, mit einem Pornokanal“.

Ohne Pay-TV aber müssen die Spartensender vorerst von der Werbung leben. Für Billigproduzenten mag das noch einfach sein, Viva-Chef Dieter Gorny kalkuliert nur mit rund 40 Millionen Mark Kosten pro Jahr. Ein Frauenkanal wie TM 3 hat's da schon schwerer. Dem flattert leider nicht ein Gutteil des Programms, in Form von Musikvideos, gratis ins Haus. Trotzdem müßte, sagt TM 3-Chef Jochen Kröhner, „der Werbekuchen von 8 Milliarden im Jahr eigentlich reichen“. Zu seinem Leidwesen aber bezahlen die Werbekunden nur nach Quote, und Sender wie TM 3 haben eben eine „miserable technische Reichweite“. Der Satellit Eutelsat bringt das Programm nur in 0,9 Millionen Haushalte, und mit dem Kabelempfang hapert es. Die Netze der Telekom sind nur für rund 30 Programme angelegt und längst dicht, so daß Newcomer wie Nickelodeon oder TM 3 ein Hauen und Stechen auslösen und nur in einigen Regionen zum Zuge kommen.

Wer daran schuld ist, haben die Privatsender natürlich längst entdeckt. Zunächst die Telekom. Die weigert sich beharrlich, eine Milliarde Mark für den Ausbau des analogen Kabelnetzes auszugeben. Warum sollte sie auch – ohne Aussicht, so kurz vor ihrer eigenen Privatisierung das Geld wieder hereinzuholen? Und da alle Proteste nichts helfen, haben die Spartensender sich jetzt einen neuen Gegner ausgeguckt. „Unsere natürlichen Feinde sind die dritten Programme“, verkündete in München Jochen Kröhne.

Er und seine Kollegen sehen überhaupt nicht ein, warum man im Hamburger Kabelnetz das Dritte aus Bayern empfangen muß und in München den NDR. Vielfalt? Die sieht man eher bei den eigenen Sendern. Etwa wenn Andreas Hess von Nickelodeon für die Sache der Kinder auf die Barrikaden steigt. Die dritten Programme im Kabel, sagt er, „verwehren den Kindern den Anspruch auf einen eigenen Sender“. Apropos: ein öffentlich-rechtlicher Kinderkanal darf es natürlich auch nicht sein. Der ist schließlich, weiß n-tv-Chef Kuhlo, „nur der Versuch, den Markt zu verstopfen“. Michael Rediske