Was die Waren alles über die Menschen verraten

■ Burkhard Spinnen zeigt sich in seinem neuen Roman wieder als Meister der Alltagsbeobachtung

Der Stoff, aus dem Burkhard Spinnen Literatur gewinnt, würde manchem seiner Zeitgenossen nicht einmal zum Leben genügen. Seine Bücher bevölkern Männer in den besten Jahren, meist Reihenhausbewohner mit Frau, Kind, Auto und Schwiegermama, fest im Sattel des Alltags sitzend und nur hin und wieder über die Stränge schlagend. Das sind die Stunden des Spinnen. Ein Stilist der Knappheit zeigte sich dem staunenden deutschen Publikum in Spinnens Erzählungsbänden „Dicker Mann im Meer“ und „Kalte Ente“, ein intelligenter Unterhalter und ein Meister des Timings.

Überraschungen möchte angesichts solcher Qualitäten niemand von Spinnens neuem Roman erwarten. „Das Übliche“, hatte der 1956 geborene und an der Universität in Münster lehrende Germanist noch Anfang des Jahres Frager bescheiden beschieden, „ein Mann und zwei Frauen.“ Damit jedoch ist „Langer Samstag“ wirklich nicht hinlänglich beschrieben.

Spinnen schildert dreieinhalb Wochen aus dem Leben des Ulrich Lofart. Der alleinstehende, siebenunddreißigjährige Verwaltungsjurist entwirft für seine Firma einen Umstrukturierungsplan, der die Auflösung seiner Abteilung und die eigene Entlassung vorsieht. Solche Uneigennützigkeit bleibt nicht unbelohnt, wird sie doch als Engagement für das Unternehmen mißverstanden. Lofart aber ist nur ein leidenschaftsloser Vertreter der Sache, Distanz zu sich selbst seine Lebensform.

Parallel zu diesem ersten Knoten schürzt Spinnen auf ebenso undramatische Weise einen zweiten. Im Supermarkt spricht Lofart vor dem Regal mit den Dosensuppen eine junge Frau an. Wie begonnen, so fortgesetzt: die Stationen der Annäherung sind Anzeigenbrett, Anrufbeantworter und Kaufhaus. Gleichgültigkeit und Hedonismus

Dorothee Gernun ist eine junge hedonistische Unternehmensberaterin, die ihre emotionalen und sexuellen Bedürfnisse mit professioneller Zielstrebigkeit regelt. Ihre Antwort auf Lofarts Suchannonce notiert sie auf der Rückseite ihrer Visitenkarte. Unweigerlich muß Dorothees Tatkraft zum Konflikt mit Lofart führen. Dessen Maxime heißt Respekt und meint innere Gleichgültigkeit. Von den Problemen anderer Leute will er nichts wissen, er belästige schließlich auch niemanden. Im Alltag ist Lofart zu jedem Kompromiß bereit, um seine Energie für Wichtigeres aufzusparen – nur ist ihm eigentlich nichts wichtig. Dem Konflikt mit Dorothee weicht er durch eine zweite Frau aus, einer Sachbearbeiterin, die von den Gefühlen ihres Abteilungsleiters ebensowenig weiß wie dieser selbst.

Mit Lofarts Indolenz und Dorothees Hedonismus zeichnet Spinnen das Psychogramm einer Generation, die die Glücksversprechen der westdeutschen Republik zu Lebensstilen erhoben hat. Diese Erwachsenen wirken auch in ihrem vierten Lebensjahrzehnt noch juvenil. In ihren Kindheitserinnerungen perlen gefüllte Limonadengläser, doch die Augen leuchten erst, wenn der richtige Markenname dazu fällt.

Ein Warenuniversum ist an die Stelle der Persönlichkeit getreten. Lofarts Gedanken kreisen in skurrilen Bildern um die Dingwelt. Er rätselt, aus welchen Dingen sich ein Leben zusammensetzt. Sein Traumberuf ist Supermarktkassierer, denn „die Dinge sagen schier alles“ über den Kunden.

Der Warenvielfalt in der Psyche seiner Figuren begegnet Spinnen mit einer geradezu pedantischen Ökonomie des Stils. Altfränkische Umständlichkeit und Verwaltungsdeutsch, saloppe Verknappung und Lakonie ergeben gemeinsam mit umgangssprachlichen Wendungen einen ganz eigenen Spinnen-Sound. Er stiftet den Zusammenhang in einem Buch, das sonst in unspektakuläre Szenen zerfiele. Eigentlich hat Spinnen keinen Roman geschrieben, sondern Erzählungskerne montiert. Einige von ihnen sind wohl unvergeßlich – etwa die Szene, in der das künftige Paar beim ersten Bummel durch ein Kaufhaus von einem Verkäufer mit einem Tupfer Nasa-Klebstoff zusammengeleimt wird.

Doch Spinnens Souveränität im Banalen und Klarheit im Skurrilen ist gefährlich. Kein Rätsel bleibt zurück, keine Beunruhigung. Unterfordert sich dieser Autor? Auf eine richtig vertrackte Geschichte von ihm müssen wir jedenfalls noch warten. Immerhin wird uns die Zeit nicht lang mit „Langer Samstag“. Jörg Plath

Burkhard Spinnen: „Langer Samstag“. Roman. Verlag Schöffling & Co., 302 Seiten, geb., 39,80 DM