Strategien gegen die unsichtbaren Täter

■ Start für das vielversprechende wie umstrittene „Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt“

Die sechs Frauenhäuser können den Opfern helfen, aber nicht die männliche Gewalt verringern. Allein in Berlin gibt es Zehntausende von Tätern, die zu Hause ihre Frauen schlagen. Weil viele Opfer ihre Mißhandler nicht anzeigen oder die Anzeigen auf Druck zurücknehmen, weil Polizisten und Staatsanwälte Gewaltakte oftmals als „Familienstreiterei“ und „Kavaliersdelikte“ werten und nicht ermitteln, weil die Staatsanwaltschaft beim Verdacht auf „einfache Körperverletzung“ nur dann tätig wird, wenn sie ein „öffentliches Interesse“ vermutet, gehen die meisten Täter straflos aus. Werden sie aber verurteilt, werden sie in einem Männerknast vollends entsozialisiert und wüten nach ihrer Entlassung weiter.

Das „Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt“, abgekürzt BIG, soll dies ändern. Groß ist das Modellprojekt mit seinen fünfeinhalb Stellen zwar nicht, groß ist aber die Hoffnung, die darauf ruht. Die Hoffnung nämlich auf eine gesellschaftliche Ächtung der „Beziehungs“-Gewalt, die zu 97 Prozent von Männern an Frauen begangen wird.

Das BIG orientiert sich an den Erfahrungen der US-Kleinstadt Duluth. Seit dort 1981 das „Domestic Abuse Intervention Project“ (DAIP) eingeführt wurde, sind die Gewaltakte gegen Frauen stark zurückgegangen. In Duluth nimmt die Polizei jeden Täter für 24 Stunden in Gewahrsam. Eine Mitarbeiterin des Frauenhauses wird benachrichtigt, die mit dem Opfer spricht und ihm, wenn nötig, eine Zuflucht verschafft. Gleichzeitig sucht ein DAIP-Mitarbeiter den Täter in seiner Zelle auf. Der Täter hat neben einem Prozeß gegebenenfalls eine Menge Auflagen zu erwarten: Absolvierung eines sozialen Trainings oder die Respektierung der „Bannmeile“ um Wohnung und Arbeitsplatz der Frau.

Die BIG-KoordinatorInnen – drei ehemalige Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern, eine Juristin, ein Soziologe – wollen gemeinsam mit Behörden- und ProjektvertreterInnen eine neue Anti-Gewalt- Konzeption entwerfen. VertreterInnen der Polizei, der Staatsanwaltschaft, der betroffenen Senatsverwaltungen, der Frauenhäuser und Männerprojekte werden auf sanfte Weise zur Vereinheitlichung ihrer Strategien gezwungen. Nach einer einjährigen „Vorlaufphase“ des zu 60 Prozent vom Bundesfrauenministerium und zu 40 Prozent von der Senatsverwaltung für Frauen finanzierten Projektes sollen diese Strategien in „Fachgruppen“ vertieft werden.

Angesichts des brisanten Themas ist mit heftigem Streit zu rechnen. Auch in der Planungsphase gab es neben Kompetenzgerangel schon heftige inhaltliche Konflikte. Das erste autonome Frauenhaus sieht BIG als Verrat an der Tradition der Nichtkooperation mit dem Staat. Bei anderen stößt die mögliche Ingewahrsamnahme der Täter und der Zwangscharakter des sozialen Trainings auf Kritik. Ute Scheub

siehe auch Seite 31