Operieren im Blindflug

■ Handchirurgen kratzen am Mythos moderner Chirurgie: Endoskopie im Kreuzfeuer

Fehler und Gefahren werden in der deutschen ÄrztInnenschaft selten diskutiert. Ein ungewöhnliches Gegenbeispiel lieferte jetzt das Symposium der „Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaftfür Handchirurgie“, das vier Tage lang in Bremen tagte.

Die vergangenen zehn Jahre waren auf dem Gebiet der Handchirurgie von rasanter Entwicklung geprägt, so der Bremer Chirurg Hans-Dietrich Paschmeyer, umso dringlicher sei es, nun Bilanz zu ziehen: Zwar seien viele Operationstechnikenund medizinischen Möglichkeiten enorm verbessert worden, doch neue Operationsformen wie die endoskopische Handchirurgie müßten auch kritisch bewertet werden. Manches Diskussionsergebnis der Tagung könnte PatientInnen allerdings verunsichern.

Frau R. aus M. beispielsweise. Sie ist knapp 60 Jahre alt. Vor zehn Jahren kamen die Hitzewallungen. Dann tröpfelte das Monatsblut nur noch. Unangenehmer war für die Frau in den Wechseljahren jedoch das Kribbeln in den drei mittleren Fingern. Was sie damals noch nicht ahnte: Frau R. ist der klassische Fall für den Handchirurgen.

Eine Nervenärztin hat ihre Vermutung bereits ausgesprochen: Frau R. leidet unter einer Verengung des Karpalkanals. Weil die Sehnenwände im Handgelenksknochen anschwellen, wird's dort eng. In der Folge kribbelt der gequetschte Nerv bis in die Fingerspitzen. Vor allem Frauen leiden darunter. „Aus noch ungeklärten Gründen“, so Hans-Dietrich Paschmeyer.

Was den obersten Operateur der handchirurgischen Abteilung der Rolandklinik umtreibt, ist jedoch nicht die Ursachenforschung – sondern die Behandlung des Phänomens. „Man muß rechtzeitig behandeln, sonst verliert die Hand ihre Bewegungsfähigkeit.“ Allerdings, wenn es richtig schlecht läuft, verliert das Körperteil seine volle Funktion auch nach einer mißratenen Operation. Wie also operieren? Chirurgische Methoden waren das heißeste Thema der Tagung: der große Einschnitt von außen ins Gewebe versus endoskopische Chirurgie. Darum stritten die 400 ChirurgInnen.

Der herkömmliche operative Eingriff mit dem sechs Zentimeter langen Schnitt, der von der Hand bis auf den Unterarm reicht, sei überholt, argumentieren die einen. Sie lobpreisen den Dreisatz „kleinere Narbe, weniger Schmerz, schnellere Heilung“. Genau diese Vorteile biete die moderne minimalinvasive Chirurgie: Sie bohrt nur ein vergleichbar kleines Loch in die Hand der Patientin. Ein Sichtinstrument wird dadurch ins Fleisch eingeführt – und der beengte Kanal geöffnet.

Geöffnet schon, halten die VertreterInnen der „alten Schule“ dagegen. Fraglich sei nur, wo. Anders als beim großflächigen Aufschneiden des Handgelenks könne man durch das Sichtgerät nämlich „so gut wie nichts“ erkennen. Beim Einführen des Sichtgeräts würden leicht Sehnen und Nerven verletzt.

In der Bremer Rolandklinik wird der Eingriff auf endoskopische Art trotz des Vorteils kleiner Narben nicht vorgenommen. Und auch in Münster bevorzugt man die herkömmliche Methode: „Wir haben eine erschreckend hohe Zahl an Nachbehandlungen von endoskopischen Eingriffen“, trug der Münsteraner Kollege Horst Rieger dem Plenum vor. Andere ergänzten: Komplikationen gebe es vor allem dann, wenn junge, weniger erfahrene OperateurInnen den Eingriff vornähmen.

Auch über die wirtschaftlichen Vorteile der Endoskopie in der Handchirurgie wird noch debattiert. Die schnellere Heilung der kleineren Narben wird gegen die Gefahr von teuren (und schmerzhaften) Komplikationen aufgerechnet.

So heiß die Diskussion, von den insgesamt 800 Händen, die der oberste Handchirurg Paschmeyer im Jahr operiert, sind doch die meisten verunfallte Hände. Wenn überhaupt, dann liege hier eine Botschaft der HandchirurgInnen: „Passen Sie am Wochenende beim Heimwerken gut auf“, lacht Paschmeyer, „wir sind nämlich alle auf dem Kongreß“. ede