Sonnenfeinde mit dummen Ausreden

Die geplanten Kürzungen der EU-Forschungsprogramme für erneuerbare Energien stoßen jetzt auch in Bonn auf massive Kritik. Die Beurteilungen von Fachleuten wurden manipuliert  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) – Wie ertappte Sünder versuchen die Verantwortlichen der EU-Generaldirektion Wissenschaft, Forschung und Entwicklung (DG 12) in Brüssel, die Manipulation von Antragsunterlagen für das „Joule“-Entwicklungsprogramm zu Lasten der erneuerbaren Energien nachträglich zu rechtfertigen – und verstricken sich dabei in neue Widersprüche. Zunächst hieß es, einen Teil der von den Experten hochgelobten Forschungs- und Entwicklungsvorhaben habe die Kommission aus formalen Gründen ablehnen müssen, andere Vorschläge seien einfach „schlecht“ gewesen.

Gegenüber einer vom Forschungsausschuß des EU-Parlaments eingesetzten „Fact-finding- Gruppe“ versicherten die Vertreter der zuständigen EU-Kommissarin Edith Cresson nun, die nachträglichen Eingriffe seien richtliniengemäß von einem Gremium der DG 12 vorgenommen worden, das die Gesamtabstimmung aller aus dem Joule-Programm geförderten Vorhaben besorgen sollte. Grundlage für die massive Degradierung – allein 19 Vorhaben aus dem Bereich der regenerativen Energien waren aus der höchsten Kategorie A1 auf die niedrigste Kategorie C gedrückt worden – sei eine Punktewertung, die von dem aus unabhängigen Experten und Verantwortlichen der DG 12 gebildeten Konsenskomitee vorgegeben gewesen sei. Nur leider: Den Abgeordneten lagen, was die zum Rapport bestellten EU-Bürokraten offenbar nicht ahnten, die Punktetabellen vor. Und die paßten vorn und hinten nicht mit den Herabstufungen überein. Teils wurden Projekte als förderungswürdig eingestuft, die die erforderliche Punktzahl nicht erhalten hatten, teils wurden solche aussortiert, die bei der Punktewertung hervorragend abgeschnitten hatten.

Merkwürdig auch: In den Förderrichtlinien, die den Experten zu ihrer Information vorgelegen hatten, taucht der Genehmigungsschritt („Rating Harmonization“), der zur nachträglichen Annullierung der Projekte aus dem Bereich der Erneuerbaren führte, gar nicht auf. Dieser zusätzliche Schritt findet sich aber in den Unterlagen für die fact-finding-Gruppe der EU- Parlamentarier. Die Bündnisgrüne Abgeordnete Hiltrud Breyer jedenfalls will nicht mehr ausschließen, daß die Eingriffe durch nachträglich geänderte Genehmigungsmodalitäten legitimiert wurden.

Von den handstreichartigen Herabstufungen in einer Gesamthöhe von fast 80 Millionen Mark waren ausschließlich Projekte aus dem Bereich der erneuerbaren Energien, vor allem der Photovoltaik, betroffen. Ungeschoren kamen die fossilen Energien, aber auch der Bereich der rationellen Energienutzung davon. Unter den deutschen Anträgen fiel beispielsweise ein Projekt des Zentrums für Solarenergie und Wasserstofforschung in Stuttgart zur Entwicklung einer neuen Generation von Dünnschicht-Solarzellen unter den Tisch, außerdem die Konstruktion eines neuartigen Direktantriebs für künftige größere Windräder der Firma Tacke in Salzbergen. Mittel für die europäische Solarenergievereinigung Eurosolar, die mehrere Förderanträge gestellt hatte, wurden gleich vollständig eliminiert.

Nicht nur die EU-Parlamentarier, die in zwei Wochen einen Abschlußbericht ihrer „Ermittlungsarbeit“ vorlegen wollen, sind empört. Verhaltene Wut beherrscht auch viele Mitglieder des sogenannten „Joule-Komitees“. Dieses mehrheitlich aus Fachbeamten der Mitgliedsländer zusammengesetzte Gremium überwacht für den EU-Ministerrat die Vergabe der Mittel des Joule-Programms (insgesamt etwa 800 Millionen Mark zwischen 1994 und 1998).

Siegfried Jacke, Regierungsdirektor im Grundsatzreferat Energieforschung des Bonner Forschungsministeriums, hat kaum Zweifel, daß in der DG 12 gezielt gegen die Erneuerbaren gearbeitet wurde. „Die Fakten“, sagt Jacke, „sprechen eine eindeutige Sprache“. Man sei sofort nach Brüssel gefahren, als die „handschriftlichen Maßnahmen“ im Juli erstmals ruchbar wurden. Aufregend sei insbesondere die Erklärung des DG 12-Direktors Ezio Andreta, ein Teil der vorgeschlagenen Projekte sei „qualitativ nicht ausreichend“. Dies impliziere den Vorwurf, die von der EU zur Projektbewertung engagierten Fachleute hätten nicht objektiv geurteilt. Viele der Experten reagierten ungehalten, weil „ihre Voten zum Teil um 180 Grad gedreht“ wurden. Jacke werde sich dafür einsetzen, daß jene genehmigten Projekte durchgezogen werden, „die niemand angerührt hat“. Das seien etwa 90 Prozent. Der zurückgestufte Rest könnte nach Priorität B („Reserveliste“) behandelt werden. Allerdings reiche das Geld aus diesem Topf nicht, die Projekte angemessen zu finanzieren. Auch eine Verschiebung auf die zweite, für das kommende Jahr geplante Joule-Ausschreibung, sei kaum realistisch. Denn dann müßten zwischen 1996 und 1998 nicht 62 Prozent des Joule-Programms – wie vom Ministerrat beschlossen – für regenerative Energien reserviert werden, sondern zur Kompensation der aktuellen Untergewichtung über 70 Prozent.

Jacke ist optimistisch, daß die EU-Kommission einen zusätzlichen Topf auftut – schon aus Eigeninteresse, um die peinliche Angelegenheit vom Tisch zu kriegen. Sollte sich die DG 12 einer raschen „Schadensbegrenzung“ widersetzen, könnte ein schwedischer Vorschlag auch in Bonn Freunde finden. Die Schweden im „Joule-Komitee“ haben angeregt, die ganze Ausschreibung zu wiederholen.