Scharping am Boden, SPD unter Tage

■ Nach Günter Verheugens Rücktritt: Die nächsten Wochen entscheiden über Rudolf Scharpings Zukunft

Rudolf Scharping weiter im Abwärtstrend: Ob Günter Verheugen es gewollt hat oder nicht, mit seinem spontanen Rücktritt als SPD-Bundesgeschäftsführer ist die ohnehin angeschlagene Position von SPD-Fraktions-, Parteichef und Kanzlerkandidat weiter geschwächt. „Seine Stärke ist im Moment die fehlende Alternative“, bewertete ein Bonner SPD-Politiker am Wochenende die Situation des SPD-Chefs. Scharping „denke in keiner Weise dran, irgendwo zu resignieren“, meinte dagegen Fraktionsgeschäftsführer Peter Struck. „Was wir brauchen, ist auch eine personelle Erneuerung der SPD“, behauptete Scharping. Sich selbst wird er wohl nicht gemeint haben.

Vom Problem zum Drama wird Verheugens Rücktritt wegen des Termins: direkt nach der SPD-hausgemachten, unseligen Diätendebatte und kurz vor der Berliner Wahl und der Neuwahl des Fraktionsvorsitzenden. „Das paßt jetzt nicht in die Landschaft, auch wenn ich Verheugens Entscheidung verstehen kann und mir sicher bin, daß er damit nicht auf Distanz zu Scharping gegangen ist“, findet SPD-Frau Cornelie Sonntag-Wolgast. Hinter vorgehaltener Hand aber sind sich viele GenossInnen nicht mehr sicher, ob Scharping die nächsten Wochen politisch überlebt: „Das wird jetzt ganz risikoreich.“ Bis zum 16. Oktober – dann tagt der Parteivorstand, um nach bisheriger Planung Verheugens Nachfolger zu bestimmen – werden sich die Parteigrößen darüber geeinigt haben, ob Scharping noch zu halten ist oder nicht. Schon am 22. Oktober wird die SPD Umfragen zufolge in Berlin eine gewaltige Schlappe einstecken müssen, und zwei Tage später steht die Neuwahl des Fraktionsvorsitzenden an. Wenn die Parteigrößen dann den Daumen für Scharping senken, ist sein politisches Schicksal in Bonn besiegelt.

Was die Nachfolge von Verheugen angeht, scheinen viele Bonner Genossen Reinhard Klimmt, dem „Mann hinter Lafontaine“, diesen Job eher zuzutrauen, als dem eher zurückhaltenden baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten Siegmar Mosdorf. „Klimmt wäre eher in der Lage, die Partei als auch die Position von Scharping zu stabilisieren“, meint ein Parteimitglied, das natürlich nicht mit Namen genannt werden will. Daß mit einer Berufung Klimmts auch die Hausmacht von Oskar Lafontaine in Bonn deutlich gestärkt werden würde, scheint nicht von Bedeutung. Auch wenn es kein konkretes Ablösungsszenario gebe, sei Lafontaine durch die anhaltende Führungskrise ohnehin wieder gestärkt worden, und auch Schröder sei noch nicht endgültig weg vom Fenster, heißt es.

Mit tiefen Sorgenfalten auf der Stirn kommentierten PolitikerInnen von Bündnis 90/Die Grünen die neuerliche Zuspitzung der SPD-Krise. „Nur noch traurig“ nannte Fraktionssprecherin Kerstin Müller die Entwicklung des Wunschpartners für ein rot-grünes Bündnis. Das „Bauernopfer Verheugen“ werde die inhaltliche Krise und Führungskrise der Sozialdemokraten allerdings nicht lösen. Vorstandssprecher Jürgen Trittin bedauerte, mit Verheugen habe einer der entschiedensten Anhänger eines rot-grünen Machtwechsels in der SPD-Führung „den Bettel hingeworfen“.

Die rapide schwindenden Aussichten auf eine rot-grüne Mehrheit beschäftigten auch den Strategiekongreß der Grünen am Wochenende in Bonn. Trittin wandte sich strikt gegen Überlegungen, wonach die Grünen wegen des SPD-Niedergangs nun die Reformfähigkeit der Union testen sollten. Karin Nink/Hans Monath, Bonn

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