Der Drei-Liter-Rolls-Royce

■ Der Kulturkanal arte gilt als Schmuckstück, soll aber möglichst wenig kosten

Arte gut zu finden gehört zum guten Ton. Selbst für die Bild-Zeitung, die den europäischen Kulturkanal schon mal den „Rolls Royce unter den TV-Kanälen“ nennt. Doch sowenig die taz von Lob und Liebe allein leben kann, sowenig kann artes Prestige die Zuschauer ersetzen. Denn die machen sich, drei Jahre nach Sendestart, immer noch rar. In einen Themenabend über Afrika schauen in Deutschland nur 60.000 rein, eine Doku über feuerspeiende Vulkane wollten immerhin 230.000 sehen, und als arte sich „Im Reich der Sinne“ bewegte, war sogar mal eine halbe Million drin. Durchschnittlicher Marktanteil am Abend: weniger als ein halbes Prozent.

Schuld daran sind zum einen die technischen Bedingungen. Arte ist bei uns nur im Kabel oder über Astra ID zu empfangen, für den ein moderner Satellitenreceiver nötig ist. Für mehr als die Hälfte der deutschen Haushalte existiert arte also gar nicht. Doch das erklärt nicht alles. Vielleicht trifft ja auf den Kulturkanal, mit seinen Opernaufführungen, Dokumentationen und anspruchsvollen Filmen, mit seinem anstrengenden Wirrwarr aus Untertiteln, Overvoicing und nach deutsch und französisch getrenntem Zweikanalsystem das, was RTL-Chef Helmut Thoma einst über den Kölner Sender Vox sagte: „Fernsehen für Leute, die nicht fernsehen.“ Für Intellektuelle, die lieber im Konzertsaal als auf der Couch hocken – und wenn sie es doch tun, dann lieber mit einem Buch als der Fernbedienung in der Hand.

Dennoch, in artes Chefetage verliert man die Hoffnung nicht. Daß attraktive Sendungen nach 23.00 Uhr genauso viele Zuschauer haben wie um 21.00 Uhr, zeige, daß das Stammpublikum sein Menü ganz bewußt zusammenstelle, meint Chefredakteurin Sabine Rollberg. Letzte Woche hatte die Hitler-Dokumentation zur Prime time 300.000 Seher und Michael Jackson nach 23.00 Uhr immer noch 220.000.

Allmählich würden die arte- Chefs sich aber gerne französischen Zuständen annähern: Dort hat der Sender nämlich fünfmal so viele Zuschauer (ist allerdings per Antenne zu empfangen und kennt nicht die Konkurrenz von acht Dritten Programmen und 3sat). Um Deutschlands Doku-Elite besser zu ködern, hat man jetzt, nach langem bürokratischem Tauziehen, eine Programmreform ab 1. Januar 1996 beschlossen. Kernstück soll ein europäisches Magazin sein: live von 19.30 bis 20.00 Uhr, mit Nachrichtenüberblick, einem Thema des Tages, mit Beiträgen aus verschiedenen Ländern, Porträts, Service und einem „humoristischen Ausklang“. Anschließend – und hier liegt das Handicap des bikulturellen Senders – muß allerdings die Zeit bis 20.45 Uhr überbrückt werden: Erst dann ist in Frankreich der „Umschaltzeitpunkt“, dann beginnen die Abendfilme. Bis dahin sollen künftig Dokumentationen laufen und die Nachrichtensendung „8 1/2“. Ob ausgerechnet das die deutschen Zuschauer davon abhalten wird, sich nach der „Tagesschau“ schon von einem anderen Programm fesseln zu lassen, ist zu bezweifeln.

Zudem zeigen sich die beiden deutschen Partneranstalten ARD und ZDF keineswegs so kooperativ, wie sie sollten. Die kleine Straßburger Zentrale verantwortet nur rund 25 Prozent des Programms, der Rest wird je zur Hälfte von den Mutteranstalten aus beiden Ländern geliefert (dazu einige Einspielungen von Partnersendern in Spanien, Belgien und der Schweiz). Doch während der französische Partner La Sept aus Paris seine Beiträge exklusiv für arte produziert, liefern die Deutschen für arte fast nur solches Material, das sie auch selber senden wollen. Die Doppelverwertung mindert zwar die Produktionskosten deutlich. Es schärft aber nicht gerade das Profil des Kulturkanals, wenn der gleiche Film nur wenige Wochen später im Ersten zu sehen ist. Oder andersherum gedacht: Die Produktionsmittel aus dem arte-Topf streichen ARD und ZDF gerne ein, die Lorbeeren sollen aber, bitteschön, das eigene Haupt zieren: Bis heute weigern sich ARD und ZDF, in ihren Programmen mit Trailern für die eigenen arte-Premieren zu werben. Michael Rediske