■ Die Erhöhung der Diäten geht nicht so leicht durch, wie sich das die "Absahner" von Union und SPD erhofften. Der Bundesrat macht den Abgeordneten wahrscheinlich einen Strich durch die Rechnung.
: Geplanter Diäten-Coup platzt

Die Erhöhung der Diäten geht nicht so leicht durch, wie sich das die „Absahner“ von Union und SPD erhofften. Der Bundesrat macht den Abgeordneten wahrscheinlich einen Strich durch die Rechnung.

Geplanter Diäten-Coup platzt

Noch versucht man in Bonn das Scheitern beim Diäten-Coup durch Zynismen zu überdecken. Diesmal in Gestalt von Peter Struck, dem parlamentarischen Geschäftsführer der SPD. Im ZDF-Morgenmagazin äußerte er gestern: „Auch wenn der Bundestag beschließen würde, daß wir die Diäten um 50 Prozent kürzten, würden wir Proteste bekommen.“ Solche Äußerungen allerdings vermögen das Wahlvolk wenig zu überzeugen. Suggeriert Struck doch, daß wir nur aus bösem Willen nörgeln, aus Selbstzweck, nicht aber mit Argumenten. Jedoch, wir haben Argumente und wiederholen sie auch noch einmal: Das Grundgesetz darf nicht ohne Not geändert werden und nicht aus niedrigen Motiven – nicht, um des lieben Mammons wegen. Deshalb, wegen der Ehrwürdigkeit unserer Verfassung, entziehen wir denen das Vertrauen, die für die Verfassungsänderung gestimmt haben.

Diese Ehrwürdigkeit hat Ulrike Meinhof in einem Artikel für Konkret einmal so ausgedrückt: „Das Grundgesetz ist das einzige Programm der bundesrepublikanischen Demokratie, das nicht vom Diktat einzelner Interessengruppen bestimmt ist, noch von perfektionistischen Weltanschauungssystemen sich herleitet.“

Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Aller Voraussicht nach werden die Länder im Bundesrat die Bereicherungsabsicht ihrer Bonner Kollegen nicht decken. Nicht immer aus hehren Motiven freilich, denn nicht nur in Berlin, sondern auch in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Baden- Württemberg stehen Landtagswahlen ins Haus. Und dort hoffen die Genossen (zu Recht), daß das Scheitern der Bundes-SPD sich nicht zu sehr auswirken wird.

Die Abstimmung im Bundesrat ist für den 13. Oktober geplant. Und auch wenn Scharping immer noch in seiner unvergleichlichen Lethargie, die übrigens nicht mit Gleichmut zu verwechseln ist, suggeriert, daß die Länder sich noch eines Besseren besinnen könnten, wird die erforderliche Zweidrittelmehrheit für eine Verfassungsänderung nicht zu erringen sein (Man möchte gar nicht wissen, was die Bonner SPD hinter geschlossenen Türen an Drohungen in Richtung SPD-Länder ausstößt).

46 der insgesamt 68 Stimmen, über die die 16 Länder im Bundesrat verfügen, sind für die Grundgesetzänderung notwendig. Bei mehr als 23 Neinstimmen oder Enthaltungen wäre der Coup gescheitert. Das Stimmgewicht der Länder, die bisher Bedenken angemeldet haben, ist aber weit größer. Nach dem jetzigen Stand – der noch kein endgültiger ist, da die meisten Länder erst am 9. oder 10. Oktober in ihren Kabinettsitzungen ihr Stimmverhalten im Bundesrat beschließen werden – wird die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Bundesrat an rund 10 Stimmen scheiten.

So wird das rot-grün regierte Hessen (vier Stimmen) der Grundgesetzänderung nicht zustimmen. Ministerpräsident Eichel: „Es ist nicht vertretbar, Diätenerhöhungen, die die Erhöhung der allgemeinen Einkommen übersteigen, in einer Zeit, wo alle sparen müssen, passieren zu lassen.“ Und die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein (vier Stimmen), Heide Simonis, SPD, schreibt in einem offenen Brief an ihren sachsen-anhaltinischen (vier Stimmen) Kollegen Reinhard Höppner (dessen Land ebenfalls nicht zustimmen will), daß die Verfassungsänderung „nicht tragbar“ sei. „Ich sehe die Gefahr, daß durch den gewählten Weg der Bundestag als Verfassungsorgan beschädigt wird.“ Auch fordert sie ihren Kollegen auf, eine Zusammenkunft der Ministerpräsidenten der Länder zu organisieren mit dem Ziel, die für den 13. Oktober geplante Abstimmung zu verschieben.

Auch das rot-schwarze Berlin (vier Stimmen) wird sich wohl enthalten. Die SPD-Senatoren haben sich eindeutig gegen eine Zustimmung ausgesprochen. Ingrid Stahmer, SPD: „Der Neuregelung der Bundestagsdiäten wird Berlin im Bundesrat nicht zustimmen. Die vom Bundestag beschlossene Neuregelung entspricht nicht meinem Verständnis von Klarheit in der Politik.“ Bei der CDU ist man ein zurückhaltender. Aber auch der Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, CDU, sagt: „In der Diskussion um die Erhöhung von Diäten gibt es erheblichen Diskussionsbedarf. Dies betrifft nicht nur die Verfassungsänderung, sondern auch die Begleitgesetze.“ Diepgen fordert den Präsidenten des Bundesrates auf, mit der Präsidentin des Bundestages eine „gemeinsame Lösung“ zu suchen.

Zusätzlich werden Sachsen-Anhalt, NRW, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz – das sind noch einmal 20 Stimmen – ihre Zustimmung nach dem jetzigen Stand der Dinge verweigern. Schließlich spricht einiges dafür, daß auch Niedersachsen (sechs Stimmen) wegen „verfassungsrechtlicher Bedenken“ ihr Jawort verweigern wird. In Hannover hat die Rechtsabteilung extra ein Papier erarbeitet, in dem die verfassungsrechtlichen Contra-Argumente zusammengefaßt werden.

Aber was passiert denn eigentlich, wenn der Bundesrat der Verfassungsänderung nicht zustimmt? Die ganze Geschichte ermangelt nicht einer gewissen Komik. Hat der Bundestag doch nicht nur die Verfassungsänderung beschlossen, sondern auch das entsprechende einfache Gesetz, das die konkrete Umsetzung regelt. Was also geschieht mit dem Gesetz, wenn die Verfassungsänderung am Bundesrat scheitert? Die Antwort ist leicht. Dann stehen die Abgeordneten vor der lächerlichen Situation, daß sie ein Gesetz verabschiedet haben, das klar und deutlich der geltenden Verfassung widerspricht. Denn gerade dazu diente ja die ganze Anstrengung: Man mußte erst die Verfassung ändern, um dann ein Gesetz durchzusetzen, was mit der geltenden Verfassung nicht zu machen ist.

Zwar hat besagter Struck auch gesagt, ein Scheitern der Verfassungsänderung im Bundesrat wäre „nicht dramatisch“. Dann müsse der Bundestag die Rechtsstellung der Abgeordneten „ohne Verfassungsänderung“ regeln. Diese Äußerung entbehrt aber, moderat gesprochen, einer realistischen Grundlage. Ohne Verfassungsänderung wird es keine Gesetzesänderung geben. Zumindest nicht eine solche, wie die Damen und Herren in Bonn sie sich vorstellen. Julia Albrecht