■ Im Toskana-Seminar: Proben für gepflegten Suff
: Anstößiges beim Önologen

Eine Einladung zum „Seminar über toskanische Weine und Olivenöl?“ Es wäre unhöflich, sie abzulehnen; zumal die Region Toskana darüber hinaus herzlich zu Antipasti einlädt. Und eine ganze Region zu enttäuschen, das bringen die Dame Tanja und ich nicht übers Herz, auch wenn man sonst eher dem Bier zuspricht und sich bisher konsequent vor Weinproben gedrückt hat. Nicht ganz unbegründet übrigens; zu deutlich ist das Beispiel Herrn Pehles noch im Gedächtnis, der sich vor Jahren als Weinkenner aufspielte, um dann – mit verbundenen Augen auf die Probe gestellt – eine Flasche Kellergeister als „Sekt der gehobenen Mittelklasse“ zu feiern. So betreten also die Dame Tanja und ich mit der universalen Lässigkeit, die uns zirka 30 Fachsemester beschert haben, kurz vor Seminarbeginn den halbgefüllten Hörsaal im Grand Hotel Esplanade. Routiniert nehmen wir zwei Plätze im hinteren Drittel ein, wo sich Lehrveranstaltungen erfahrungsgemäß am besten genießen lassen. Im Namen der Landesregierung der Toskana begrüßt Dr. Giacomo Tachis die Anwesenden und erklärt, daß die Aufmerksamkeit seiner Region seit vielen Jahren auf Deutschland gerichtet sei. Die Dame Tanja meint leise, das sei ja schließlich kein Wunder, und will von mir wissen, ob in der Toskana eigentlich auch Italiener wohnen bzw. wann es wohl endlich losgehe. Auch die Kommilitonen in der letzten Reihe beginnen bereits zu tuscheln. Dr. Giacomo Tachis reagiert und läßt uns direkt einen Vernaccia di San Gimignano einschenken. Nach dem Probeschluck verrät uns der Önologe, daß dieser Weißwein in unserem Munde einen Bittermandelgeschmack hinterlasse und bouquetreich sei, harmonisch, fast warm. Recht hat er! Ein leckerer Tropfen, beschließen wir und trinken aus. Einen Happen Weißbrot später dürfen wir dann Chianti testen. Während die ersten Reihen den Wein richtig herumschwenken und beschnuppern, verlassen wir uns ganz auf diensteifrige Geschmacksknospen und kippen direkt. „Schmeckt klasse, ziemlich süffig!“ stellen wir fest und hören von Dok Tachis, daß dieser frische Wein uns „gut durch den Gaumen“ rinne und im Mund „eine schöne Fruchtigkeit“ erzeuge. Bei den Strebern in den ersten Reihen rinnt es nicht ganz so gut; auch am Chianti wird nur kurz genippt. Der folgende Chianti classico kommt unserem Durst gerade recht, leider betont Giacomo, daß er gut „zu Schweinebraten mit Kräutern oder Pecorino“ passe. Was gäben wir jetzt darum, im Colloqium „Schweinebraten mit Kräutern oder Pecorino“ zu sitzen! Das Weißbrot muß es büßen. Und auch der Carmignano, ein „gehaltvoller, kraftvoller Wein, der trotzdem angenehm ist im Mund“. Aber wie, bis zum letzten Tropfen! Weißbrot. Vino Nobile di Montepulciano. Hat „eine enorme Dichte im Mund, so daß man eigentlich nur den Willen verspürt, mehr zu trinken“. Ja! Treffender als unser Freund Giacomo könnten wir das auch nicht ausdrücken, nicht in diesem Zustand. Alles was uns an Analyse über die Lippen kommt, ist ein forderndes „Vino, per favore!“. Das Weißbrot ist längst alle. Den Brunello di Montalcino in die Bresche – ein Wein, der „im Mund eine schöne Harmonie“ hinterlasse und „den man bald trinken sollte“. Schon geschehen, Giaco.

Die abschließende Olivenölprobe vergeht wie im Rausch und dann gibt die Einladung zu zwanglosen Antipasti noch Gelegenheit, die im Seminar erworbenen Kenntnisse in der Praxis bzw. an der Weintheke gründlich zu verifizieren. Kellergeister sind leider nicht zu haben, aber auch die vini di toscana hinterlassen, wie sich am nächsten Tage zeigt, eine wunderbar harmonische Pelzigkeit im Mund. Martin Sonneborn