Premiere bei "premiere"

■ Bertelsmann setzt beim Digital-TV auf Zeit - und den existierenden Pay-Kanal

Wie schnell kommt die digitale Fernsehwelt auf uns zu? Bundesligaspiele aus fünf Kameraperspektiven, neue Kanäle mit Spielfilmen, Musik für jeden Geschmack, mit Kinderprogramm und Wetterkanal? Technisch wird das alles ab dem nächsten Frühjahr kein Problem mehr sein. Dann ist nämlich der erste digitale Satellit Astra 1 E soweit. Und wenn es nach Leo Kirch geht, starten dann auch die ersten Programm-„Bouquets“. Schon auf der Berliner Funkausstellung hat Kirch aufs Tempo gedrückt: 27 Kanäle waren dort versuchsweise über seinen digitalen Decoder zu sehen.

Jetzt meldet sich der mächtigste Kirch-Konkurrent zu Wort, von dem auf der Funkausstellung so wenig zu sehen war: Bertelsmann. Der Gütersloher Konzern nutzte am Mittwoch die Bilanzpressekonferenz nicht nur, um sein stetiges Wachstum zu loben (letztes Jahr 12 Prozent, siehe taz-Wirtschaftsteil von gestern), sondern malte auch sein Szenario fürs digitale Fernsehen aus. Motto: Erstens kommt es anders – zweitens als Kirch denkt. Digitaler Start im Frühjahr? Kirch hat schon eine Million Decoder bei Nokia bestellt? Damit würde sich der Münchner doch gewaltig überheben, streuten Bertelsmann- Vorstandsmitglieder unter den Journalisten. (Ja, auf der Funkausstellung habe man selber PR-mäßig versagt, aber jetzt ...) Denn wer soll das bezahlen, und vor allem: Wer soll so viele Decoder kaufen (Stückpreis wohl knapp unter 1.500 Mark) oder mieten, solange es rund 30 kostenlose Fernsehprogramme und nur wenige digitale Angebote gibt?

Die Bertelsmänner rechnen nun vor, die einzige rentable Basis für den Einstieg ins digitale Fernsehen sei der schon existierende Pay-Kanal premiere, der jetzt mit Mühe auf 930.000 Abonnenten gekommen ist. Für 44,50 Mark monatlich, die er monatlich kostet, müsse man ohnehin bald mehr bieten als bisher. Auch premiere-Chef Bernd Kundrun sieht das und hat auf der IFA angekündigt, so bald wie möglich sollten seine Kunden für das gleiche Geld zusätzliche Spartenkanäle und ein sogenanntes „Multiplexing“-System bekommen: Dabei wird das Programm, leicht variiert, auf mehreren Kanälen zeitversetzt ausgestrahlt, so daß man das Top-Bundesligaspiel nicht mehr verpassen muß.

Bei premiere sind sie beide, Bertelsmann und Kirch, Gesellschafter: Die Gütersloher und ihr enger Partner, der französische Pay-Sender Canal+, halten zusammen drei Viertel der Anteile, Kirch den Rest. Und jede Seite möchte ihren digitalen Decoder durchsetzen — der von Canal+ wird in diesen Wochen schon für die französische Kundschaft ausgeliefert. Beide behaupten natürlich, der ihre sei der bessere. Bertelsmann beruft sich dabei auch auf die Experten der

Deutschen Telekom und verspricht außerdem, das von Canal+ entwickelte System sei wesentlich billiger – unter 1.000 Mark.

Doch am Schluß wird es eine Machtfrage sein: „Wir haben die Mehrheit bei premiere“, sagt ein Vorstandsmitglied, „und führen unseren Decoder notfalls auch gegen Kirch ein. Dann müssen sich anschließend eben die Juristen noch eine Weile streiten.“ Ob aus Zweckoptimismus oder kühler Kalkulation der Kräfteverhältnisse – Vorstandsvorsitzender Mark Wössner sagt voraus, daß Kirch noch nachgeben und sich an der Multimedia-Betriebsgesellschaft beteiigen werde, in der sich alle anderen, von ARD über Telekom bis zum ZDF zusammenschließen: „Warten Sie mal sechs Wochen ab.“

Für Bertelsmann muß ohnehin alles nicht so schnell gehen — eher für 1997 als 1996 peilt man die richtige Markteinführung an. Und offenbar will man auch keine halbe Milliarde Mark für eine Million Decoder auf den Tisch legen. Ganz offiziell gibt Wössner bekannt, für die nächsten zwei bis drei Jahre habe Bertelsmann für Multimediainvestitionen ganze 100 Millionen Mark eingeplant. Die Lösung: Wer von den premiere-Kunden digital versorgt werden will, muß eben mehr zahlen als die anderen — so könnte die Umstellung ganz allmählich vor sich gehen und würde für die Medienkonzerne nicht so teuer.

Teurer wird es dagegen für alle diejenigen, die Spitzen-Sportereignisse künftig live sehen wollen. Immer mehr davon werden, wie heute schon in den USA, nur noch gegen Geld zu sehen sein. Bei premiere, so kündigt Bertelsmann- Vorstand Michael Dornemann folgerichtig an, soll ein Sportkanal künftig eine „zentrale Rolle spielen“ – mit wöchentlich mindestens zwei Bundesligaspielen.

Bei RTL dagegen sei der Sport jetzt „nicht mehr so wichtig“, sagt Dornemann. Aber auch bei diesem Sender will Bertelsmann künftig die Strategie bestimmen. In der Vergangenheit hatte meist die luxemburgische CLT, die 49,9 Prozent an dem Sender besitzt, das Sagen. Doch mit drei Schachzügen hat Bertelsmann (bisher 37,1 Prozent) seit Juli das Blatt gewendet. Man ging eine Allianz mit der WAZ-Gruppe (10 Prozent) ein, die bis 1998 in eine gemeinsame Fernseh-Holding münden soll. Dann kauften beide die Anteile der Minigesellschafter von RTL auf: Bertelsmann die zwei Prozent von Burda und die WAZ das eine Prozent der FAZ.

Die CLT, die sich als Gründerin der RTL-Kette in die Ecke gedrängt fühlt, hat zwar vor Gericht einen ersten Erfolg errungen – Bertelsmann darf seine neuen Stimmrechte nicht ausüben, bevor nicht geklärt ist, ob die CLT nicht ein Vorkaufsrecht besitzt. Doch ähnlich wie bei premiere wollen die Gütersloher das RTL-Problem aussitzen: Mehrheit ist schließlich Mehrheit.

Am Rande der Pressekonferenz erzählen Bertelsmann-Vorstände auch, worum es ihnen vor allem geht: Sie haben den Eindruck, der Sender stagniert, weil die CLT ihn vor allem als Milchkuh für einen möglichst hohen Gewinntransfer nach Luxemburg sieht. Bertelsmann dagegen will den Marktführer, dem es sichtlich an Innovationen mangelt, ausbauen, Rechte einkaufen (wie gerade ein Riesenfilmpaket von Warner für 250 Millionen Dollar) und diese noch zweitverwerten – auf Pay-Kanälen, natürlich. Michael Rediske