Pazifistischer Sex, sexueller Pazifismus? Von Ute Scheub

Der Hamburger Sexualforscher Gunter Schmidt vertrat unlängst in einem taz-Interview die These, es sei „ohne Zweifel eine Pazifizierung der männlichen Sexualität zu beobachten“. Die Hetero-Männer von heute seien gaaanz, gaaanz lieb geworden: zurückhaltender, abwartender und rücksichtsvoller beim Ausleben ihrer sexuellen Wünsche, ihre Frauen hingegen selbstbewußter und fordernder. Die rigide Sexualmoral von früher werde zunehmend durch eine rationale „Verhandlungsmoral“ ersetzt: Ob Blümchensex oder Sadomaso, erlaubt ist alles, was ausgehandeltermaßen beiden Spaß mache. Der Preis dieser Entwicklung laut Schmidt: die Sexualität werde entzaubert, ihr Leidenschaftsgehalt nehme ab. Ob auf französisch oder ostfriesisch – unter deutschen Dächern in deutschen Betten passiere immer weniger.

Man mag von diesen Thesen halten, was man will, auf jeden Fall sind sie interessant. Daß die alltägliche sexuelle Gewalt gegen Frauen keineswegs abgenommen hat, steht dazu nicht unbedingt im Widerspruch, denn sie kann auch als Reaktion manischer Machos auf den Verlust alter Privilegien gedeutet werden.

Einer interessanten Frage aber ist der Sexualforscher leider nicht nachgegangen: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der „Pazifizierung der männlichen Sexualität“ und der Pazifizierung der deutschen Gesellschaft? Immer weniger junge Männer wollen den Beruf des Mörders ergreifen, noch nie gab es so viele Kriegsdienstverweigerer. Das ist in einem Land, das den Weltrekord beim Auslösen von Weltkriegen hält, fast schon eine Zeitenwende. Wäre da nicht Kaltschnauzstratege Volker Rühe – aber über den wollen wir jetzt nicht reden.

Militärischer Drill, das hat als erster Klaus Theweleit in seinen „Männerphantasien“ beschrieben, besteht aus dem Umbau des männlichen Körpers in eine Kampfmaschine. Damit der Soldat Lust am Kämpfen und Töten empfindet, muß der Krieg, müssen die Waffen sexualisiert werden. Die Beispiele dafür könnten Bände füllen, hier nur zwei im wahrsten Sinne des Wortes herausragende: „Wargasm“ nannten die Pentagon- Kriegsplaner in den achtziger Jahren die von ihnen zusammengestellte Liste der per Atombomben zu zerstörenden sowjetischen Städte. „Earth Penetrator“ hieß zur gleichen Zeit die Pershing II: Vater Krieg penetriert Mutter Erde.

Solch Metaphorik mag „Stahlgewitter“-Greise wie Ernst Jünger erfreuen, doch die Jungs von heute sehen zum Glück nicht mehr so recht ein, warum sie ihre Triebe in Panzerrohre und Maschinengewehre umlenken sollen. Aber warum nicht? Eine Erklärung dafür wäre, daß Sexualität, weil in Werbung, Pornos, Filmen allgegenwärtig, nicht mehr tabuisierbar, also auch nicht mehr zu verschieben und umzulenken ist.

Die andere bestünde im Verweis auf die ethnologische Erkenntnis, daß Stämme und Volksgruppen um so friedlicher sind, je weniger sie die Geschlechterunterschiede künstlich überhöhen.

Äußerst gewagte Schlußfolgerung: Die doppelte Pazifierung an der Front und im Bett ist der nachlassenden Spannung der Geschlechterpolarität geschuldet. Wenn dafür die Leidenschaft ein bißchen weniger glüht – bitte schön, der Preis ist nicht zu hoch.