"Blavatzkys Kinder" - Teil 45 (Krimi)

Teil 45

Er öffnete die schwere Stahltür ohne Anstrengung. Sie schlichen durch mehrere Räume, bis sie sich dem Treppenhaus näherten. Was würde Deger dazu sagen, daß die Gegner überhaupt so weit vordringen konnten?

Hinter ihm entstand Lärm.

Aus dem Weg!“ schrie die Oberschwester, und Schulte ließ sie verdutzt vorbei. Hinter ihr zogen zehn Kinder in Zweierreihen in einen Seitengang, der in den Park führte. Um die kann ich mich jetzt nicht auch noch kümmern, dachte Schulte und stürmte mit sechzig Sekunden Verspätung in das Treppenhaus.

Weitere sechzig Sekunden später erreichte Schulte den zweiten Stock. Am anderen Ende des Flurs schrie ein Mann: „Achtung, da sind sie!“

Schulte gab den Schießbefehl. Rolf war unvorsichtig. Ein Schuß traf ihn in die Brust, er war sofort tot.

Mit Wurfhaken enterten die Soldaten der zweiten Einheit den linken Turm und kletterten in die oberen Räume. Sie griffen Robert und seine Leute von der Seite an, während diese vor Schulte zu fliehen versuchten.

Schulte sah den Polizeihubschrauber als erster. Er versuchte, die Lage einzuschätzen. Hier unten waren mehr Angreifer, als er gedacht hatte. Dreißig. Er zuckte mit den Achseln. Mit denen würde er fertig. Jetzt noch Polizei? Vierundzwanzig Stunden vor dem geplanten Termin. Was war schiefgegangen? Die Unterlagen waren noch nicht vernichtet. Heute sollte das geschehen, in aller Ruhe. Zu spät. Was würde Deger sagen? Und die Organisation? Abhauen? Von der Polizei gesucht? Das wäre nicht so schlimm. Von der Organisation gejagt? Nicht einmal mit einer Gesichtsoperation wäre er in Paraguay vor denen sicher. Schulte hetzte seine Leute zum nächsten Angriff.

„Achtung, Achtung. Hier spricht die Polizei. Alle Kampfhandlungen sofort einstellen!“

* * *

Robert sah, wie Schulte aus dem Schloß in den Wald rannte. Er setzte ihm nach. Schulte hörte die raschen Schritte und drückte sich hinter einen Baum.

„Auf die Knie“, zischte Schulte.

Das war's wohl, dachte Robert. Es regnete leicht. Hinter ihm, im Schloß, hörte er vereinzelte Schüsse. Drei Helikopter über seinem Kopf. Die sehen mich nicht, dichtes Laub, fuhr es ihm durch den Kopf.

Miriam beobachtete durch die Treppenhausfenster eine Krankenschwester, die kerzengerade, unberührt von Schüssen, Hubschrauberlärm und Regen eine kleine Gruppe Kinder anführte.

„Geht ihr zu den anderen. Ich folge ihr.“

Dann sah sie Robert. Er kniete in achtzig Meter Entfernung auf dem Boden. Hinter ihm stand Schulte und hielt ihm eine Pistole in den Nacken. Sie stellte sich breitbeinig hin, atmete tief durch und zielte mit beiden Händen. Schulte fiel, bevor er entsichern konnte. Sie stürzte zu Robert. Er war unverletzt und starrte sie fassungslos an. Sie lief weiter in den Wald. Sie fand die Frau in Schwesternuniform, die wirres Zeug stammelte. Zehn Kinder standen einige Meter von ihr entfernt. Sie gehorchten ihr nicht mehr. Ein dünner Junge mit dunkelroten Haaren und ernsten Augen hielt die Kinder von der Frau fern. Miriam ging langsam auf ihn zu.

„Wie heißt du?“

Epilog

Die Sonne stand tief über der Insel. Miriam zog mit der großen Zehe Rillen in den Sand und beobachtete, wie das Wasser sie füllte.

„Benjamin!“

Der Junge tobte lachend mit einem roten Drachen über den Strand.

„Benjamin!“

Das Kind prustete vor Vergnügen, weil sein erwachsener Verfolger ihn nicht zu fassen kriegte. Das Kind rannte, so schnell es konnte. Robert gab vor, langsamer zu sein. Miriam sprang über die Rinnsale beginnender Flut zurück zum Strandkorb. Sie legte die Beine hoch und schloß die Augen. Abends mußten sie den Jungen oft trösten. Er vermißte das Mädchen, das nicht Dorothea heißen wollte. Sie hatten ihm noch nicht gesagt, daß sie tot war. Robert setzte sich neben sie.

„Hoffentlich finden sie seine Eltern in Polen. Wenn nicht, bleibt er bei uns. Was wird mit Rjako?“ fragte er.

„Petrescu sagt, Ana will ihn aufnehmen. Es wird lange dauern, bis er aus dem Krankenhaus kommt. Petrescu hat versprochen, auch für ihn zu sorgen. Er hat ein Visum, er kommt nächste Woche her.“

* * *

Die Organisation hatte sich für eine Weile zurückgezogen. Zuviel schlechte Presse, die bis nach Brasilien reichte. Deger und Gates reorganisierten das Geschäft.

ENDE

Der Roman Blavatzkys Kinder von Jutta Ditfurth ist im Buchhandel erhältlich (Bastei Lübbe Verlag TB 12380, 12,90 Mark).