"Blavatzkys Kinder" - Teil 42 (Krimi)

Teil 42

„Nein, die andere Hälfte des Netzes kommt von der anderen Seite. Paul, du rufst morgen abend Drabert an und bittest ihn, dich übermorgen früh gegen fünf Uhr hier im Krankenhaus zu besuchen. Notfalls schimpfst du auf uns und behauptest, wir hätten gefährliche Dummheiten vor. Drabert wird kommen. Paß auf, daß er nicht früher aufbricht. Sobald er da ist, wartest du auf unser Signal. Wir rufen dich während der Anfahrt aus einer Telefonzelle an. Dann informierst du ihn. Wir haben dann drei Stunden Vorsprung. So lange braucht er mindestens, bis er mit dem Staatsanwalt und den anderen dort ist.

Er wird sich hüten, die Bullen vor Ort zu rufen. Du weißt, wie er über sie denkt. Die können allenfalls mittendrin kommen, wenn die Sache klar ist, so daß sie nicht auf die falschen Leute schießen. Alles weitere überlaß Drabert. Sag ihm, daß der Apparat undicht ist. Das heißt, der Staatsanwalt muß seinen Stab aus dem Stand verkleinern und die Polizei in Gang setzen. Die Bullen werden erst auf der Fahrt informiert, worum es geht. Falls sie ein braunes Ei im Nest haben, ist der Verräter kaltgestellt. Sie werden angehalten, immer zu zweit aufeinander aufzupassen, damit keiner ein Handy oder ein Funkgerät zückt. Sie können also niemanden warnen.“

* * *

Der schwarze Wagen stand auf einem Hügel auf der anderen Seite des Tals. Der magere Mann spähte durch ein Fernglas. Rolf konnte es genau sehen. Er kletterte die Leiter im Heuschober hinunter.

„Lisa. Sie sind da. Zwei Mann in Zivil. Ein Wagen.“

„Warum machen die so ein Tamtam? Wird da geheiratet?“ fragte Gustav seinen Kollegen.

„Ich weiß es nicht. Jetzt schleppen sie sogar Bierkästen ran. Lautsprecher. Gitarre und Schlagzeug. Das wird eine lange Nacht. Manchmal denke ich, ein Bürojob ...“

Einige Leute stapelten Strohballen als Sitzplätze auf. Andere kochten und organisierten den Proviant für den morgendlichen Ausflug. Wieder andere befanden sich in hundert Meter Entfernung unter der Erde, prüften die Waffen, reinigten die Pistolen und die Gewehre, testeten die Funkgeräte und was sie sonst noch brauchten.

Das Netz tanzte. Immer mal wieder verschwanden Pärchen im nahe gelegenen Wald. Die Späher sahen es voller Neid. Sobald sie den Wald erreicht hatten, verwandelten sich verschlungene Pärchen in zielstrebige, schnelle Läufer, die Max und Lisa halfen, die Waffen aus dem Erdlager in die im Wald versteckten Telekomwagen zu laden.

Gegen zwei Uhr nachts war alles vorbereitet. Wer es fertigbrachte, schlief eine Weile. Die anderen saßen in der Scheune, hörten Musik und redeten. Die Bierflaschen hatten sie nach und nach in eine alte Regenwassertonne gekippt. Das Netz trank nie Alkohol, bevor es losschlug. Die Getränke des Abends waren Zitronentee, Kaffee und Wasser.

Etwa um fünf Uhr waren immer noch Stimmen zu hören.

* * *

„Meine Güte, sind die munter“, schimpfte Fred. Er konnte nicht wissen, daß Lachen und Reden zusammen mit der Musik von zwei Tonbandgeräten kamen. Um acht Uhr wurde es plötzlich still. Zu still. Zu abrupt. Die beiden Männer sahen sich unbehaglich an. Sie verließen ihr Auto und schlichen sich an den Hof heran. Dann griff der Dicke zum Handy. Er bekam keine Verbindung mehr zum Lebenshof.

* * *

Die Mailbox hatte zwei lange Tage vergeblich auf den vereinbarten Rückhaltecode gewartet, das Sicherungsprogramm war eingeschaltet worden. Dann hatte die Mailbox auf den zweiten Code gewartet. Er traf auch in dieser Nacht nicht ein. Pauls Nachricht ging in alle Welt.

Auf Umwegen erreichte sie schließlich eine große deutsche Presseagentur, die sie mit einleitenden Vorbehalten erst am nächsten Tag verbreitete. Da aber überstürzten sich bereits die Ereignisse.

Fünfunddreißig Mitglieder des Netzes griffen den Lebenshof gegen sieben Uhr morgens von drei Seiten an.

Lisa, die Krankenschwester, verkleidet als Fahrerin des Telekomreparaturservice, verpaßte den beiden Wachen am Tor zwei Injektionen und setzte sie damit vierundzwanzig Stunden außer Gefecht. Die Hunde bekamen vergiftetes Fleisch.

Dreizehn Mitglieder des Netzes, unter ihnen Robert, saßen im ersten Telekomwagen und drangen von vorn in das Schloß ein. Der verwirrte Butler, der die vermeintlichen Handwerker ins Haus lassen sollte, fand sich nach einer so kurzen wie heftigen Begrüßung mit Handschellen gefesselt in einer der Toiletten im Foyer wieder. Ein Knebel hinderte ihn an unerwünschten Kommentaren.

Jeweils elf Angreifer und Angreiferinnen enterten den Lebenshof von links und rechts.

Links nahmen Lisa, Max und Leute aus Berlin und Dresden die Nachrichtenzentrale des Lebenshofes ein. Sie schwangen sich mit Hilfe von Wurfseilen auf das Dach, schlugen die Scheiben der kleinen Dachfenster ein und setzten die zentrale Alarmleitung außer Kraft. Der Sender im ausgebauten Dachboden wurde in dieser Nacht nur von einem einzigen Mann bewacht. Sein Kollege war krank, und ein Ersatz war nicht für nötig befunden worden.

Am Ende der Prügelei sah er sich mit einigen Kabeln an einen Dachträger gefesselt. Max setzte inzwischen die Funkanlage außer Betrieb. „Los, weiter!“ Max und zehn Leute schlichen sich eine Etage tiefer.

Miriam, Tobias, Karo und acht guttrainierte Männer aus Köln, Hamburg und Leipzig brachen auf der rechten Seite des Lebenshofes ein. Noch einmal Hunde vergiften.

Fortsetzung folgt