"Blavatzkys Kinder" - Teil 39 (Krimi)

Teil 39

Miriam legte auf.

„Wir fahren ins Krankenhaus.“

Paul lag in der Uniklinik, hatte Karo gesagt und: „Heute abend bin ich auch da.“

* * *

„Wir haben die Kugel heute morgen herausoperiert. Die Operation ist gut verlaufen. Er hat eine Chance. Aber er ist noch nicht bei Bewußtsein, obwohl er schon längst hätte aufwachen müssen.“

Abends kamen Max, Karo, Lisa und Tobias. Bleich, übermüdet. Sie saßen mit gesenkten Köpfen zwei Stunden neben Paul und gingen gegen dreiundzwanzig Uhr mit Robert etwas essen. Nur Miriam blieb. Die Nachtschwester brachte ihr Tee. Gegen ein Uhr rief Robert an, ob sie nicht nach Hause kommen wolle? Nein, sie wolle allein sein. Bei Paul bleiben.

„Holst du mich morgen früh ab, damit wir zusammen zu dem Termin gehen können?“

„Natürlich. Die anderen fragen, ob sie bei dir schlafen können?“

„Klar. Du weißt ja, wo alles ist, wenn nicht, suchst du eben.

Ihre Stimme klang apathisch.

Sie schlief angezogen und unbequem auf einer Liege, die die Nachtschwester in Pauls Zimmer geschoben hatte. Es dämmerte, als sie durch ein Röcheln aufgeweckt wurde. O Gott, er stirbt, dachte sie und sprang auf, um die Nachtklingel zu drücken.

„Nein, nicht.“

Paul hatte die Augen geöffnet. Sie beugte sich über ihn.

„Paul! Erkennst du mich? Du lebst? Wie geht es dir? Hast du Schmerzen?“

„Wenn du mich... zu Wort kommen läßt, werde ich... mich bemühen..., dir alle deine Fragen... wohlsortiert zu beantworten.“

Sie lachte. Seine Stimme war ziemlich leise. Aber er hatte sie erkannt.

„Du hast den Mann erkannt?“

„Quatsch... Es geht um... etwas... ganz anderes.“ Miriam hockte sich vor das Bett und legte ihren Kopf neben seinen Mund.

„Als ich... im Radio erfahren... habe, daß bei Regensburg... ein Bankier im Wald ermordet wurde..., wurde ich mißtrauisch. Ich habe mich... als Journalist ausgegeben... der zuständige... Polizeipressesprecher hat... hat mir offiziell mitgeteilt,... wo die Leiche gefunden wurde... und daß das Opfer... ein Reiter war... den Namen habe ich nur abgekürzt bekommen: R Punkt,... weil seine Familie... das so wollte... wegen der Boulevardpresse... ich habe furchtbaren Durst... Danke.“

Paul holte Luft.

„Da ich,... wie du weißt,... nicht dumm bin,... habe ich eure... Erlebnisse auf dem Lebens... hof, die Erzählungen des... Bankers und was ihm passiert ist, zusammengefügt...“ Paul keuchte. „Mehr Wasser.“

Paul atmete eine Weile unruhig. „Ok... Also nicht nur den Mord..., sondern was ihm neulich passiert ist... Alle Informationen habe ich... Arthur, jenem Wesen in der technologiefeindlichen Zone Finnland, anvertraut.“

„Jetzt dreht er durch“, dachte Miriam.

„Nein,... ich drehe nicht... durch. Es ist eine Art... Testament. Ich habe... über verschlüsselte... Umwege in eine... Mailbox in Finnland... eine Datei eingeladen ... Sie enthält... auf zwanzig Seiten ... die Story... die Daten des Bankers... über Geldgeschäfte... des Lebenshofs, eure...“

„Was?“

„Jetzt bin ich... definitiv taub... Hör auf... zu brüllen. Hab' ich etwa ... vergessen, dir... zu erzählen,... daß wir uns gekannt haben, ... dein Banker und ich? Man wird alt... Hör auf... mich zu schütteln,... ich falle... sonst zurück ins Koma.“

Miriam hielt erschrocken inne.

„Woher kennst du ihn?“

„Das ist... eine etwas... peinliche Geschichte. Er hat mich,... als ich noch Anfänger im... Hacken war,... dabei erwischt... Hat mich aber... nicht angezeigt. Der Preis... war, daß ich ihm beibringe... was ich kann... Wir... haben lange geredet. Anständiger Typ... Also habe... ich es gemacht. Nicht ganz selbstlos... Von Zeit zu Zeit haben wir uns... Gags... durch die Leitung gejagt... Knifflige Aufgaben, ... um den anderen herauszufordern... Als er in der Zeitung las,... was mir... passiert ist,... der Brand,... hatten wir... ein langes Gespräch. Er bot mir... seine... Hilfe an. Als ich sagte,... wem... ich hinterherjage,... hatte er... eine geniale Idee... Er meinte,... es muß auch... um Geld... gehen. Wie immer,... und er... jagte den... Finanztransfers hinterher... Er hat Konten... aufgestöbert... und auch sonst... hat er einiges rausgekriegt: intensive... Geschäftskontakte... in den USA... und auch in... Osteuropa.“

Die Mailbox würde heute nicht mehr gefüttert werden. Pauls Gastwohnung war von den Bullen versiegelt worden und wurde bewacht. Miriam begriff, daß die Mailbox morgen um Mitternacht die Meldung in alle Welt absetzen würde. Sie hatte nur noch vierzig Stunden Zeit. In zwei Stunden mußten sie beim Staatsanwalt sein. Was immer dabei herauskam, sie würden ihre eigenen Pläne machen müssen.

* * *

Wenn Schulte dem leitenden Laborarzt, Dr. Eduard Trautwein, oder seiner Stellvertreterin Petra Weingart, ein Kind übereignete, nannte Schulte den Säugling schon einmal amüsiert „Recyclingmaterial“, woraufhin Trautwein in einer Art ritualisiertem Witz den Kopf schüttelte: „Mehr als das, Kamerad Schulte, mehr als das!“ Das wußte Schulte auch. Kein Kind wurde verschwendet. Die meisten waren Monate, manchmal mehr als ein Jahr für Experimente zu gebrauchen, bis sie so verschlissen waren, daß Trautwein sie ausschlachtete.

Es gehörte zu Trautweins besonderem Ehrgeiz, so wenig biologisches Material wie irgend möglich zu verschwenden.

Fortsetzung folgt