"Blavatzkys Kinder" - Teil 38 (Krimi)

Teil 38

„,Meine Anwältin. Wen sonst?‘ ,Nee‘, hat der gesagt, ,du könntest ja deinem terroristischen Anhang verraten, daß wir ihnen auf der Spur sind. Stell dir vor, sagte der was von ,meinem terroristischen Anhang‘. Also der Anfruf bei meiner Anwältin wurde glatt abgelehnt.

Später haben sie mich wieder aus der Zelle geholt. Hab' mich gerade tierisch gelangweilt. Der eine hat sagenhaft rumgebrüllt, und der andere hatte auch ein ziemlich saures Gesicht. Dann hab' ich einfach tierisch zurückgebrüllt, mußte sein, tat gut. Hab' ihnen was erzählt von wegen unbescholtene Bürger terrorisieren, und wer denn hier der terroristische Zusammenhang wäre. Rechtsbruch! hab' ich gebrüllt. Keine Anwältin anrufen! Bin erst sechzehn! Kinderquäler! Notorische Belästigung! Was weiß ich, ob's das gibt, aber es hat gewirkt!

Die beiden haben irgendwie blöd geguckt. Ein Moment war Ruhe. Dann haben sie getuschelt, und der eine hat mit finsterem Gesicht gesagt, es läge eine Anzeige gegen mich vor. 'ne Anzeige? frage ich. Wegen lila Haaren oder Nasebohren oder was? Der eine hat mit der Faust auf den Tisch gedonnert. ,Gegen Sie liegt eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch und Einbruch vor‘, hat er gesagt. Wer hat uns verpfiffen? hab' ich gedacht. Ich hab' die Augen weit aufgerissen. Die blödesten Tricks funktionieren wirklich. ,Wie bitte?‘ Einfach so: ,Wie bitte?‘ Wo sind die Beweise? Die Zeugen? Eh alles illegal, was Sie hier machen. Sie versau'n sich ja selbst den Fall. Wo ist meine Anwältin? Ich will meine Anwältin!

Dann kam ich wieder in die Zelle. Ungefähr drei Stunden später haben sie mich laufenlassen.

Max haben sie erst am Nachmittag zusammen mit Tobias festgenommen, die sitzen immer noch, kommen aber wohl heute raus. Weil sie überhaupt gar keine Beweise für irgendwas und nur eine anonyme Denunziation haben.

Was wir gemacht haben? Mensch, das fragste echt früh! Eigentlich nix. Wir haben dem Lebenshof einen kleinen Besuch abgestattet. Warum schreist du so, Miriam? Das Problem war nur, wir kamen unangemeldet und durch den falschen Eingang. Nacht war's auch. Wir wußten, daß sie ihre Manöver hatten ... Wir haben's halt mal versucht. An den Wachen sind wir gut vorbeigekommen. Fußball in der Glotze hilft ungemein. Wir sind von vorn gekommen und über dem Festsaal eingestiegen. Ja, da wo damals der Vortrag von der Blavatzky-Kuh war. Und als wir oben waren, haben wir ein Kind furchtbar schreien hören. In dem rechten Flügel. Also von vorn gesehen hinter dem Turm, in dem der Festsaal ist. Wir sind auf der anderen Seite aus dem Turm rausgeklettert, um zu sehen, wo das Schreien herkommt. Da war nur 'ne Riesenmauer, und das Kind war nur noch ganz leise zu hören – und dazu die Stimme von einem Mann. Dann waren wir hinter dem Hauptgebäude und standen wieder vor einer hohen Mauer. Dahinter lag der Teil, wo das Kind weinte. Dann rannten die Wachen los, und wir mußten abhauen.

Zu Hause haben wir gesoffen. Dann hat Max bei uns gepennt.“ Miriam legte auf.

„Wer war das?“ fragte Robert.

„Karo.“

„Was wollte sie?“

Später packten sie ihre Taschen und trafen Drabert, mit dem sie nach Frankfurt fahren wollten.

Das Telefon in Roberts Wohnung klingelte noch einmal. Nach dem dritten Läuten sprang der Anrufbeantworter an.

„Karo. Hier ist wieder Karo. Bitte, bitte nehmt doch ab! ... Hallo? Oh, Scheiße, sie sind nicht mehr da.“

* * *

Die Mailbox stand in einem komfortablen Blockhaus an einem finnischen See. Sie war auf Stand-by geschaltet. Gelegentlich sprang sie an und arbeitete, wenn ein anderer Computer etwas fragte oder die Zeit gekommen war, eine zeitgebundene Nachricht abzusenden. Heute würde der Code aus Frankfurt kommen müssen, spätestens bis Mitternacht. Wenn nicht, hatte er andere Anweisungen.

* * *

„Morgen, zehn Uhr bei der Staatsanwaltschaft?“ Drabert setzte sie vor Miriams Wohnung ab und machte sich auf den Weg zu einem kleinen Hotel in der Nähe des Zoos.

„Dein Fax ist voll“, sagte Robert, der sich an den Computer setzen wollte. Miriam griff nach der meterlangen Papierschlange, die mitten in einer Meldung abbrach: „Hallo, bitte! Hier ist Karo. Ich habe schlechte Nachrichten ...“

„Wir haben doch heute mit ihr gesprochen“, wunderte sich Miriam. Dann sah sie, daß die Kennung auf dem Fax 15.43 Uhr anzeigte. Da waren sie längst auf der Autobahn gewesen. Miriam wählte.

„Karo? Hast du noch mal angerufen? Was ist los?“

„Paul ...“

Miriam rutschte an der Wand entlang und setzte sich auf den Boden. Den Telefonhörer dicht an sich gepreßt. Robert bekam eine Gänsehaut.

„Ich bin noch hier, Karo. Ja, ich höre zu. Wer? Mein Gott, der auch? Und Paul ... wo ... was sagen die Ärzte? Vielleicht nie mehr?“

Robert setzte sich neben Miriam und stellte den Lautsprecher des Telefons an.

„... ein Jogger hat ihn am frühen Morgen unterkühlt im Vorgarten eines Hauses in der Nähe vom Günthersburgpark gefunden. Da wohnt er zur Zeit. Er dachte, Paul wäre tot, war aber klug genug, sofort einen Krankenwagen zu rufen. Eine Kugel im Kopf. Er liegt im Krankenhaus. Intensivstation. Er ist nicht bei Bewußtsein.“

„Was ist mit Reuter?“

„Reuters Pferd kam allein nach Hause, da haben die Nachbarn ihn gesucht. Er ist erschossen worden.“

Fortsetzung folgt