■ Ökolumne
: Streit ohne Öko Von Gerd Rosenkranz

Das Publikum kennt sie bis zum Überdruß, diese Versuchsballons, die laut steigen und leise platzen. Die Kurzdebatte um die Lohnfortzahlung chronisch kränkelnder Belegschaften war ein solcher Ballon. Natürlich wurde er mit Bedacht von der Leine gelassen, da sollte man die Hinterbänkler nicht unterschätzen, die sich – im Auftrag von wem? – als Ballonfahrer versuchten. Denn egal wie schnell so ein Versuchsballon niedergeht, am Ende sind die Initiatoren klüger. Sie wissen dann, wie der Wind steht.

Der kurze Schlagabtausch zum Wochenanfang lehrt zweierlei. Erstens positiv: Es gibt soziale Errungenschaften, die noch nicht ungestraft zur Disposition gestellt werden können. Der Angriff auf die Lohnfortzahlung hatte keine Chance, weil er zu offensichtlich auf Simulanten und Kranke gleichermaßen zielte. Zweitens negativ: Die Politdebatte über die „Kosten der Arbeit“ weicht keinen Millimeter ab von den seit Jahrzehnten ausgetrampelten Pfaden. Vor die Kameras treten abwechselnd sorgenzerfurchte „Standortpolitiker“ und rituell empörte „Sozialexperten“. Sie verbreiten die immer selben Parolen. Das eigentlich erschreckende am Verlauf dieser kurzen Sommerlochdebatte ist das Maß ihrer Rat- und Phantasielosigkeit.

Dabei herrscht an neuen Rezepturen kein Mangel. Seit mehr als einer Dekade häufen diejenigen, die Natur und Arbeit in ein neues Verhältnis zueinander setzen wollen, Modell auf Modell. Ihre Vorschläge füllen mittlerweile nicht Schubladen, sondern Bücherwände. Bei allen Differenzen im Detail, die Therapeuten empfehlen im Kern die gleiche Arznei gegen die beiden Hauptkrankheiten unserer Zivilisation: Das knappe und bedrohte Gut Natur muß teurer werden, der im Überfluß angebotene Artikel Arbeit billiger. Im Ergebnis sinken Umweltverbrauch und Arbeitslosigkeit. Konkret sollen Energie- und Rohstoffverbrauch in für Verbraucher und Wirtschaft kalkulierbaren Schritten erhöht, die Einnahmen im Gegenzug teilweise oder vollständig zur Senkung der Lohnnebenkosten eingesetzt werden. Über Einzelheiten kann gestritten werden. Es geht hier nicht um Peanuts, sondern um ökologisch wirksame Umschichtungen, die nach der Jahrtausendwende 40, 50 oder 60 Milliarden Mark jährlich umfassen würden. Vorausgesetzt, man fängt bald an.

Politiker aller Parteien bekunden von Zeit zu Zeit ihre Sympathie für derlei Vorschläge. Sie finden Eingang in Parteiprogramme und Sonntagsreden. Aber im politischen Alltag sind sie tabu. Assoziiert beim Stichwort „Senkung der Lohnnebenkosten“ ein einziger

Sozialexperte, ein einziger Standortpolitiker das Thema „ökologische Steuerreform“? Vermutlich ahnen die meisten von ihnen nicht einmal, daß beides miteinander zu tun haben könnte. Und Hand aufs Herz: Haben Sie nicht auch zwei Absätze lang gerätselt, was um Himmels Willen an dieser Kolumne Öko ist? Das genau ist das Dilemma. Rudolf Scharping, dessen Partei den „ökologischen Umbau der Industrie-

gesellschaft“ vor bald zehn Jahren auf ihre Fahnen schrieb, vermißt bei der Begrenzung der Lohnnebenkosten die „Phantasie des Regierungslagers“. Und verbreitet dann die nicht eben taufrische Idee, die „zahl-

losen versicherungsfremden Leistungen aus der Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung“ herauszunehmen. Gut gebrüllt, Rudolf. Wer mag dagegen

ankläffen? Doch zur Frage, wo die Moneten statt dessen herkommen sollen, schweigt der Vorsitzende – und wartet auf die Phantasie-Eruptionen des Regierungslagers.

Ökologiepolitik mit Aussicht auf Erfolg muß heute vor allem Wirtschafts-, Finanz- und auch Sozialpolitik sein. Sie gehört ins Zentrum der politischen Ausein-

andersetzung, nicht an ihren Rand. Die Chance, dies – bei kurzfristig hohem Aufmerksamkeitsniveau – in der Öffentlichkeit zu verankern, ist diese Woche wieder einmal verspielt worden. So bleibt alles beim alten: Die Umwelt-Ökonomen dürfen sich in ihrem Freigehege weiter mit Sandkastenspielen bei Laune halten. Die Musik spielt derweil woanders. Und sie spielt immer das selbe Stück. Verantwortlich für den Stillstand sind nicht nur dumpfe Sozialexperten. Die Verfechter der ökologischen Revolution des Steuersystems hüllten sich diese Woche in tiefes Schweigen. Kann es sein, daß auch sie ihre Lauscher auf Durchzug schalten, sobald die Dreßlers und Rappes die Szene beherrschen? Oder ruhen die Steuer-Revolutionäre noch in der Toskana?