■ Standbild
: Die Ausgangssperre

„Gesucht wird... dringender Tatverdacht“, Mittwoch, 21.45 Uhr, ARD

Für die deutsche Justiz ist nicht jede Vergewaltigung eine Vergewaltigung. Schon gar nicht, wenn die mißbrauchte Frau freiwillig mit einem Fremden mitgegangen ist, und erst recht nicht, wenn sie es versäumt, gleich nach der Tat Fingerabdrücke zu nehmen, jedes herumliegende Schamhaar sorgfältig einzutüten und die Hautstückchen unter ihren Fingernägeln sorgfältig zu beschriften ...

Als in einer Münchner Polizeiwache in den letzten sechs Jahren mehrmals Anzeige gegen Mario A. erstattet wurde, glaubten die Beamten eher an eine mysteriöse Hysteriewelle denn an die Aussagen der Mißhandelten. Der wegen Vergewaltigung und Körperverletzung bereits Vorbestrafte kam aus Mangel an Beweisen nicht in Sicherheitsgewahrsam. Wenig später ermordete er eine 18jährige Schülerin. Da machte der Fall dann Schlagzeilen.

Erika Kimmel und Bernd Isecke haben aus dem Fettgedruckten die Reportage „Gesucht wird... dringender Tatverdacht“ gemacht. Eine Dokumentation, in der die bienenfleißigen Reporter („Wir sind wieder unterwegs und wollten herausfinden, was in der Nacht geschah“) Zeugenaussagen und Hinweise sammeln und damit genau die perfide Logik jener haarsträubenden Ermittlungsverfahren bedienen, nach denen das Opfer erst einmal beweisen muß, daß es ein Opfer ist. Und weil das alles so schlimm und unvorstellbar ist, werden uns die Verbrechen in kleinen Episoden noch einmal vorgespielt. Statistenbeine hetzen durch die Nacht. Ein lockiger Hinterkopf gibt uns den Verbrecher. Lange Schatten auf arglosen Häuserwänden, rastlose subjektive Kamerafahrten, dämonisch erleuchtete Fenster, schwelende Thriller-Klänge. Der Skandalchronik geht es schon bald nicht mehr um juristische Ignoranz, sondern nur noch um eine unter großen Anstrengungen bebilderte Empörung.

Damit die Dokumentation nicht zum abgeschlossenen Fotoroman zerfällt, gedenkt eine Off- Stimme im Rondoturnus der Toten: „Damals war Steffi 13 Jahre und hatte noch fünf Jahre und drei Monate zu leben.“ Schon als Steffi „noch drei Jahre und zwei Monate zu leben“ hat, ist das Gruseln jener unvergeßlichen „Aktenzeichen-XY“-Abende wieder an uns hochgeklettert. Ich schlage meiner Freundin vor, sie könne gern bei mir schlafen. Birgit Glombitza