"Blavatzkys Kinder" - Teil 28 (Krimi)

Teil 28

Einer der Wächter drehte sich halb um und sprach in ein Funkgerät. Miriam hatte gute Ohren.

„Hier ist ein Max Weidenbauer. Ein Bauer aus der Gegend. Er will zwei Gästen aus der Stadt das Schloß zeigen – von außen.“ Der Wächter schwieg einen Moment. „Ja, ok.“ Er wandte sich den Besuchern zu. „Sie dürfen rein. Es kommt jemand, der Sie abholt. Bitte haben Sie Verständnis, daß es heute keine Führungen im Haus gibt. Sie dürfen es sich von außen ansehen.“

Ein Jeep kam, wendete und stellte sich vor ihren Wagen. Der Fahrer winkte ihnen. „Folgen Sie mir.“

Undurchsichtige Hecken umgaben den langen gewundenen Weg. An keiner Stelle gab es einen Schlitz, der breit genug gewesen wäre, daß ein Kind hätte hindurchspazieren können. Sie näherten sich dem Schloß.

Ein renoviertes sandfarbenes Gebäude mit breitem Portal und rechts und links zwei achteckige dreigeschossige Türme. Wunderschöne alte Bäume. Der Wächter hielt. Die drei stiegen aus.

Unbemerkt von den Besuchern wurde jede ihrer Bewegungen von zwei unter der Regenrinne eingebauten winzigen Kameras aufgezeichnet. Schulte verlangte einen Zwischenausdruck. Weidenbauer war ein unsicherer Kandidat. Was wollte der hier?

Miriam näherte sich der großen Eingangstür, während Schultes Laserdrucker langsam drei Blatt Papier entließ. Jedes zeigte eine schwarzweiße Großaufnahme. Max' Foto legte er beiseite. Er prägte sich Roberts Bild ein. Nie gesehen. Aber dieses Gesicht habe ich schon einmal gesehen, grübelte er beim dritten Blatt.

„Gleicht dieses Bild ab“, sagte er zu seinem Assistenten und gab ihm Miriams Portrait.

Miriam lief die Treppe zur Eingangstür hinauf und ließ den schweren Löwenkopf aus Messing auf die Tür fallen. Der Schlag hallte im Innern des Hauses wider.

„Bist du verrückt?“ fragte Robert und ärgerte sich, weil sie einfach handelte.

Die Tür öffnete sich.

„Guten Tag. Sie wünschen bitte?“ Ein alter Mann stand vor ihnen.

„Wir suchen einen schwarzen Lieferwagen“, sagte Miriam.

Robert fiel das Herz in die Hose.

Nein, man kannte keinen schwarzen Lieferwagen. Leider müsse er sich jetzt verabschieden, bedauerte der alte Mann. Sie zogen unverrichteter Dinge wieder ab. Der Alte erstattete Schulte sofort Bericht. Schultes Assistent brachte währenddessen zwei Computerausdrucke, den frischen und einen aus dem Archiv, den sie vor kurzem von einer Außenstation erhalten hatten.

Da war eine gewisse Ähnlichkeit, überlegte Schulte und betrachtete zweifelnd das Bild der Frau.

„Alarmstufe I für heute. Neugierige Leute in der Gegend“, sagte Schulte in eine Sprechanlage, nachdem der alte Mann den Raum verlassen hatte. Er war nicht sehr beunruhigt.

„Du bist verrückt, so direkt vorzugehen. Wenn dieser Lebenshof in irgendwelche Schleppereien verwickelt ist, dann sind sie jetzt gewarnt“, kritisierte Robert.

Max pflichtete ihm bei: „Eine gewaltige Idiotie.“

Miriam verteidigte sich. „Wir haben praktisch nichts in der Hand. Wir kommen keinen Schritt weiter. Max, ihr habt ein Jahr lang versucht, etwas rauszukriegen. Vielleicht machen sie einen Fehler, wenn wir sie provozieren.“

„Wir wissen so wenig, daß wir diesen Fehler wahrscheinlich nicht mal erkennen könnten“, erwiderte Max und fuhr sie zurück zum Hof.

„Laß uns in den Wald fahren. Von hinten an den Lebenshof ran“, schlug Miriam Robert später vor.

Max hatte ihnen sein Auto geliehen und war mit dem Traktor unterwegs. Roberts Auto stand seit heute morgen in der Werkstatt. Sie fuhren langsam um die Kreuzung, an der der schwarze Lieferwagen eingebogen war, nicht zu übersehen. Tatsächlich, der Weg ging in einer dicht bewachsenen Kurve in spitzem Winkel von der Straße ab. Sie fuhren langsam, krochen beinahe und hätten ihn doch fast übersehen. Der Weg war fast vollständig zugewachsen.

Miriam rangierte und kurbelte, bis sie in den Weg einbiegen konnten. Tiefe, vom Regen ausgewaschene Löcher zwangen sie ins Schrittempo. Die einzigen Geräusche verursachten sie selbst, irgend etwas auf der Ladefläche rumpelte laut. Sie erreichten das Ende des Wegs gegen zwei Uhr. Der Himmel war von schweren grauen Wolken bedeckt, und es war kühl. Der Weg hörte nach einigen Kilometern einfach auf.

Sie parkten den Wagen im Gestrüpp, zogen dicke Pullover, Regenjacken und feste Schuhe an. Sie liefen eine Stunde schweigend in großen Schritten nebeneinander her. Die Luft war angenehm. Irgendwann stießen sie auf eine undurchdringliche Hecke. Nach einer Weile entdeckten sie ein etwa zweieinhalb Meter breites altes verrostetes Tor mit der Aufschrift „Privat“. Was auf den ersten Blick alt und vernachlässigt ausgesehen hatte, erwies sich als raffinierte Verkleidung. Die Scharniere beider Flügel waren nagelneu und frisch geölt. Das Schloß war nicht nur eines der neuesten, es löste auch drei Querriegel aus, die beim Verschließen des Tors über seine ganze Breite, oben, in der Mitte und unten, zwei tief in den Boden gemauerte stählerne Pfosten miteinander verbanden, die sich in dem Gestrüpp versteckten. Wer baute eine so teure, stabile Tür mitten im Wald? Miriam drückte die Klinke.

Sie erschraken. Es hatte nur leise geknackt, aber aus einer unsichtbaren Sprechanlage kam sekundenschnell eine Stimme.

„Ja?“

„Wer spricht da?“ fragte Miriam.

„Sie stehen an unserer Tür. Wer sind Sie?“

„Spaziergänger.“

Fortsetzung folgt