"Blavatzkys Kinder" - Teil 21 (Krimi)

Teil 21

„Wie suchst du etwas, von dem du wenig weißt?“ fragte Robert.

„Zum Beispiel über Kinderhandel?“

Robert nickte.

„Wir haben Berichte von Leuten, die sich in Faschotreffen eingeschmuggelt haben. Sie sollten so ausführlich wie möglich berichten. Wir wissen nie, was wir später einmal brauchen. Jetzt können wir nicht nur die Titel oder Stichwörter dieser Berichte abrufen, sondern auch Begriffe, die in den Berichten, also in den Dateien, vorkommen. Wir können auch Begriffe in den Dateien kombinieren, um den Schrott auszuschließen. So sind wir vor einiger Zeit David Irving auf die Schliche gekommen.“

„Irving wer?“

„Irving ist eine Art Vorzeigehistoriker der Naziszene, der den Faschos sogenannte wissenschaftliche Beweise für die Leugnung von Auschwitz liefern soll. Hätten wir nur nach Irving gesucht, hätten wir mehr Material bekommen, als wir in diesem Moment brauchen. Wäre unser Suchbegriff Auschwitz gewesen, natürlich noch mehr. Die Kombination verschiedener Begriffe brachte uns den Bericht über ein Faschistentreffen in Belgien auf den Bildschirm, bei dem Irving im kleinsten Kreis Witze über die angebliche technische Unmöglichkeit von Gaskammern in Auschwitz gerissen hat und die Opfer der Shoah verhöhnte.“

„Wie gehen wir vor?“ fragte Miriam.

„Wir wissen fast nichts über Kinderhändler, nur daß sie auch in Rumänien arbeiten. Irgendeine Verbindung gibt es nach Ungarn. Und Kunden finden sie in vielen Ländern, auch in Deutschland. Was machen sie mit den Kindern? Vermutlich werden sie verkauft und illegal adoptiert. Laßt uns anfangen“, sagte Paul.

Er rief die Point-Station, seine Mini-Mailbox, auf.

„Die wird täglich mehrmals mit den neuesten Daten aus der zentralen Mailbox beladen. Antifa- Netz“, erklärte Miriam.

Robert verstand kein Wort.

„Sortiert nach Stichwörtern, für die Paul einen Auftrag gegeben hat.“

„Aha.“

„Ein Programm lädt die neuesten Nachrichten in Pauls spezielle Ordnung. Es transportiert auch verschlüsselte Nachrichten in seinen persönlichen Briefkasten, Personal Mail. Wirklich wichtiges politisches Zeug läuft so natürlich nicht. Das transportieren wir nach wie vor auf altmodische Weise. Wo wir hacken, können andere das schließlich auch. Frühere Hacker haben sich einkaufen lassen und sitzen jetzt auf der anderen Seite und versuchen unsere Strukturen zu knacken.“

Irgendwo schlug eine Uhr. Zwei Uhr morgens. Sie stand auf und brühte noch eine Kanne Tee auf.

„Scheiße. Verfluchte Schuppenflechte. Schon wieder der bulgarische Geheimdienst. Verflucht! Oh, Brabbel, brabbel, brabbel. Es rieselt. Wo ist die verdammte ... Ah, da bist du ja. Den Bulgaren entronnen? Komm her, kleine Information! Hörst du gefälligst auf? Ich brauch' einen See voll Tee ... Es schneit schon wieder. Stellt doch mal den Regen ab. Man wird ja närrisch. Ja, ja, ja. Los, aufgehen!“

„Das macht er immer so“, flüsterte Miriam Robert ins Ohr.

„Nicht tuscheln, nicht tuscheln, geliebte Freundin. Kommt lieber her und schaut, was ich dem CIA entrissen habe. Nicht viel, aber ein Anknüpfungspunkt.

„Wenn er so durchdreht, hat er etwas gefunden“, erklärte Miriam.

Es wurde hell, und irgendwo sammelte sich lautstark ein Vogelschwarm. Sie hatten nicht genug Informationen. Es gab zwar Gerüchte über Kinderraub. Furchtbare, unbestätigte Verdächtigungen, daß Kindern hier und dort vor der Adoption Organe entnommen werden. Doch sie hatten nichts Handfestes, nur vages Zeug. Nach langen Stunden war bei der Verkreuzung von Informationen nur eine undeutliche Spur übriggeblieben. Im Nordosten Bayerns schienen merkwürdige Formen von Grenzüberschreitungen bekannt geworden zu sein. Auffällig viele Kinder. Auf den meisten Fluchtwegen versuchten mehr Männer aus Osteuropa oder Asien ins Land zu kommen, aber in Bayern, südöstlich von Nürnberg, lagen ungewöhnlich viele Meldungen über Flüchtlingsgruppen mit Kindern vor.

„Es gibt da eine zweite Initiative. Sie ist relativ neu, was uns normalerweise vorsichtig sein läßt. Diese hier ist klein. Nicht mehr als fünf Mitglieder, die sich seit Jahren kennen. Einer hat früher schon starke Sachen in Berlin abgezogen. Ein anderer ist Max, ein uralter Kumpel von mir. Aus Frankfurt. Hat sich aufs Land zurückgezogen, aber nicht der Politik den Rücken gekehrt. Ihm könnt ihr vertrauen. Ich schicke ihm ein Personal Mail. Wann fahrt ihr?“

„Morgen.“ Paul schickte eine PM an Max: „Max, ihr bekommt Besuch. Sehr gute Freunde. Kooperiert!“ Der Hof von Max lag rund zwanzig Kilometer nordöstlich von Regensburg, abseits eines winzigen Dorfs. Er bestand aus Ställen mit ein paar Rindern und Schweinen, einer Scheune, einer Werkstatt, einem großen Gemüsegarten, einer Obstwiese und Feldern. Fünf Menschen, sah man von zahllosen Wochenendbesucherinnen ab, bewohnten den Hof dauerhaft: Max, Lena, Lisa, Tobias und Rolf.

An den großen Holztisch in der Wohnküche des Bauernhauses paßten zwei Dutzend Menschen. Das Essen hätte für solch eine Menge genügt: Käse, selbstgezogene Tomaten, Quark, Kräuter, Schinken, Zwiebeln, Obst, Tee, Wein und Bier.

„Hier hat sich seit 1989 einiges verändert. Es ist unruhiger geworden. Wenn du spazierengehst, laufen dir manchmal merkwürdige Figuren vor die Füße.“

„Touristen?“ fragte Miriam.

„Nein. Wir wandern fast jedes Wochenende. Alle bis auf Lisa, die ist so faul wie ein altersschwacher Hofhund. Autsch!“ Max rieb sich sein Schienbein. Lisa grinste.

Fortsetzung folgt