Pay or die

■ Bald wird der Fernsehmarkt auf Pay-TV umgekrempelt. US-Konzerne wie Disney gehen in eine günstige Startposition.

Die schöne neue Fernsehwelt der 100 Kanäle rückt näher, das Zauberwort dafür lautet „Spartenkanäle“. Den Familienkanal „Super RTL“ gibt es schon, die Musikkanäle MTV und Viva machen sich bereits kräftig Konkurrenz, der Kinderkanal „Nickelodeon“ hat seine Versuchssendungen begonnen, und auf der Funkausstellung wird in drei Wochen der Startknopf für den ersten Frauenkanal mit dem kryptischen Namen TM 3 gedrückt.

Ganz vorn mit dabei sind die US-amerikanischen Medienkonzerne, von Time Warner über Viacom bis Disney – obwohl es zusätzliche Werbeeinnahmen für die vielen Neugründungen kaum geben wird. Sie spekulieren darauf, daß die Digitalisierung den Markt auf Pay-TV umkrempeln wird. Der Musiksender MTV ist schon seit einem Monat über Satellit nur noch mit einem Decoder zu empfangen, für den eine Monatsgebühr bezahlt werden muß. Die luxemburgische CLT mit ihrer europaweiten RTL-Kette hat gegenüber dem Fachblatt infosat zugegeben, daß die riesigen Investitionen für das Digitalfernsehen nur so wieder hereinzuholen sind: „Wenn die Leute nicht auf Pay-TV-Angebote reagieren, sind wir konkurs.“

Wer soll das bezahlen ...

Doch wie viele Sender-Abos werden wir uns dann neben der Rundfunkgebühr noch leisten? Heute kostet allein premiere schon 44,50 Mark im Monat. Auch hier kommt die Zauberformel aus den USA, eingedeutscht lautet sie: „im halben Dutzend billiger“. Die großen Medienkonzerne bieten ganze Pakete von Pay-Kanälen an: zwei mit Popmusik, einen für Kinder, einen mit Spielfilmen, einen für Frauen, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Würde das ganze Paket unter 20 Mark kosten, dann wäre das, so meint RTL-Chef Helmut Thoma, durchaus konkurrenzfähig.

Seit dieser Woche nun gibt es einen amerikanischen Medienkonzern mit besten Startvoraussetzungen: Der Unterhaltungskonzern Disney hat, in der zweitgrößten Übernahmeaktion der US-Wirtschaftsgeschichte, den erfolgreichsten Fernsehsender ABC mitsamt seiner Holding Capital geschluckt. Und siehe da, die beiden haben sich in Deutschland schon bei insgesamt drei Spartenkanälen eingekauft: ABC ist an RTL 2 beteiligt und auch beim Frauensender TMDisney wiederum beherrscht Super RTL.

Zwar macht der Mickymaus- Konzern dort formell mit der CLT halbe-halbe, aber die Gesellschaftervereinbarung läßt Disney überall das letzte Wort. Die Amerikaner stellen nicht nur den Geschäftsführer, sondern auch Programm- und Marketingdirektor. Sie haben sogar (§2) das Recht, „zu verlangen, daß die Senderkennung in ,The Disney Channel‘ oder sein deutsches Äquivalent geändert wird“. Und warum sollten sie darauf verzichten: Dann bekommen sie nämlich von der CLT schon mal Lizenzgebühren für den Namen – bis zu 4,5 Prozent des Nettoumsatzes. Andernfalls könnte sich dagegen CLT den Namen „RTL“ weiter mit 2 Prozent bezahlen lassen.

Für die dominante Stellung von Disney gibt es einen simplen Grund: Vorläufig ist mit den Spartenkanälen kaum Geld zu machen, Programme zu kaufen aber ist teuer. Lohnen tut sich das nur für Veranstalter, die eigene Programmvorräte recyceln können. Und so jemanden hat die CLT in Disney gefunden. Bisher war Leo Kirch in Europa der einzige, der die Rechte für große Vorräte amerikanischer Filme hatte.

Über die Folgen hat sich gerade vor einer Woche Alfred Neven DuMont, der informelle Sprecher der an Sat.1 beteiligten Zeitungsverleger, öffentlich beklagt. Kirchs Strategie sei es, daß „zu Lasten der Wirtschaftlichkeit jede Menge in Sat.1 investiert“ werde, „und dies in erster Hinsicht auf Kosten seiner Partner, da er selbst als Zulieferer offenbar bestens verdient“.

Daß die Amerikaner und andere Programmlieferanten jetzt auf Pay-TV-Pakete setzen, ist für den Direktor der thüringischen Medienanstalt, Victor Henle, „eine bedrohliche Entwicklung“. Attraktive Sport- oder Musikereignisse würden dann nur noch gegen Bares zu sehen sein (es sei denn, die Öffentlich-Rechtlichen hätten erfolgreich mit gesteigert). Das Fernsehvolk würde sich in Zahlungskräftige und „mediale Habenichtse“ aufspalten.

... wer hat soviel Geld?

Henles Kollege von der Berliner Medienanstalt, Hans Hege, hat schon im letzten Jahr – allerdings vergeblich – dafür plädiert, den Disneykanal unter diesen Bedingungen nicht zuzulassen. Inhaltliche Programmvielfalt, so Hege, entstehe am besten dann, wenn es einen Wettbewerb um die Programmquellen gebe. Die Dominanz von Programmlieferanten, die gleichzeitig Fernsehkanäle besitzen, dagegen verhindere die Chancengleichheit für kleinere, gerade auch lokale und regionale Anbieter.

Auch ein ideologisch gänzlich unverdächtiges Unternehmen wie die FAZ, die bei RTL und RTL2 jeweils eine Winzbeteiligung von einem Prozent hält, sieht den Markt bald ganz in der Hand der großen Medienkonzerne. „Wir werden da keine aktive Rolle mehr spielen können“, sagt der FAZ- Generalbevollmächtigte für neue Medien, Gerhard Semar, zur taz. Wenn Bertelsmann und WAZ, die sich gerade zusammengeschlossen haben und 49,1 Prozent von RTL besitzen, noch das eine FAZ-Prozent kaufen könnten, hätten sie die Mehrheit. Genauso die CLT, die über den Rest verfügt.

Noch dürfen beide nicht über 50 Prozent haben, das verbietet der Rundfunkstaatsvertrag – doch diese Regelung wird wohl 1997 fallen. „Wir werden schon jetzt umworben, und dann werden die uns die tollsten Angebote machen“, sagt Semar. Wenn das Angebot gut genug ist, wird die FAZ zuschlagen und sich „woanders im elektronischen Bereich engagieren“. Dann sind die Majors unter sich. Michael Rediske