"Frauen spielen konkreter"

■ Die ehemalige Schachweltmeisterin Maja Tschiburdanidse denkt nicht daran, Nonne zu werden, sondern will ihren Titel zurückgewinnen. Zur Zeit spielt sie in Lippstadt.

taz: Frau Tschiburdanidse, Sie nehmen zur Zeit in Lippstadt an einem Großmeisterturnier teil. Vor vier Monaten, nach Ihrer Niederlage im Kandidatinnenfinale gegen Zsuzsa Polgar, war zu lesen, daß Ihre Schachkarriere beendet sei, weil Sie den Rest Ihres Lebens als Nonne verbringen wollten. Ihr Preisgeld hätten Sie für wohltätige Zwecke gespendet. Haben Sie Ihre Pläne geändert?

Maja Tschiburdanidse: Reine Fantasie. Daß ein so renommiertes Magazin wie der Spiegel etwas verbreitet, ohne es zu überprüfen, hat mich sehr überrascht. Von der russischen Presse wurde die Meldung damals übernommen, aber bald richtiggestellt. In Deutschland nicht.

Mehrere Schachmagazine veröffentlichten ein Interview, in dem Sie Ihre religiösen Gefühle erklärten.

Was habe ich denn gesagt?

Sie hätten Ihr Schachtalent von Gott und sind fest davon überzeugt, daß das Schicksal der Menschen von oben bestimmt sei.

Ich bin ein gläubiger Mensch, aber an Vorherbestimmung glaube ich nicht. Ich kann mich nicht erinnern, in letzter Zeit mit einem deutschen Journalisten gesprochen zu haben. Können Sie mir dieses Interview schicken? Ich bin wirklich neugierig.

Stimmt es, daß Sie zu Ihren letzten Wettkämpfen von einem Priester begleitet wurden, den Sie mit Väterchen anredeten?

Haben Sie das auch aus diesem Interview? Diese Leute wissen ja mehr über mein Leben als ich.

Erhalten Sie noch genügend Einladungen, seitdem Sie im Kloster vermutet werden?

Nach dem Match gegen Zsuzsa Polgar hatte ich ein Turnier in Griechenland, jetzt bin ich in Lippstadt, und demnächst spiele ich in Münster. Wie Sie sehen, denke ich nicht daran, meine Karriere zu beenden.

Vor zehn Jahren hieß es schon einmal, daß Sie mit dem Profischach aufhören, weil Sie Ärztin werden wollten.

Das dachte man wohl, weil ich Medizin studierte. Aber ich habe nie große Pläne gemacht, schon gar nicht, Schach aufzugeben. Ich bin von jung auf Profi und kämpfe weiter um den Titel.

Judit Polgar, heute unbestritten stärkste Spielerin der Welt, hat nie an den Titelkämpfen teilgenommen. 1991, als Sie noch Weltmeisterin waren, wurden Sie von der damals 14jährigen herausgefordert. Sie haben dann in einem Interview Ihre Bereitschaft zu einem solchen Privatmatch signalisiert. Woran scheiterte es?

Es gab weder Verhandlungen noch ein Interview.

Hat Judit Polgar das Zeug dazu, Weltmeister Garri Kasparow abzulösen?

Sie spielt jetzt wie ein Supergroßmeister. Aber als Weltmeister wird man geboren. Es genügt nicht, Schach zu begreifen. Gute Nerven und physische Energie gehören auch dazu.

Sind Männer deshalb erfolgreicher?

Nein. Männer haben nicht mehr oder weniger Talent als Frauen. Männerschach hat mehr Tradition, sie haben 100 Jahre Vorsprung. Aber er ist geringer geworden. Frauen spielen konkreter, Männer denken eher abstrakt.

Gegen wen schneiden denn Sie persönlich besser ab?

Am erfolgreichsten bin ich gegen schwache Gegner. Oft wird behauptet, es sei für Frauen leichter, gegen Männer zu spielen, weil keiner erwartet, daß wir gewinnen. Auf mich trifft das bestimmt nicht zu. Bei mir hängt alles von der Form ab.

Die scheint bestens. Sie haben in Lippstadt mit fünf Siegen und zwei Remis begonnen. Wer kann Ihnen den ersten Platz noch streitig machen?

Ich weiß nicht, wer jetzt wie viele Punkte hat. Während des Turniers achte ich nur auf mein eigenes Resultat.

Bei den Männern fällt das georgische Team nicht weiter auf. Aber die georgischen Frauen beherrschen seit drei Jahrzehnten die Weltspitze. Wie erklären Sie sich das?

Schach ist bei uns sehr populär. Die Leute auf der Straße kennen mein Gesicht aus dem Fernsehen. Die meisten Familien haben ein Schachspiel im Haus.

Ist es nicht Brauch in Ihrer Heimat, daß die Bräute ein Schachspiel mit in die Ehe bringen?

Nicht in diesem Jahrhundert. Das war im Mittelalter so.

Man traut sich kaum, weiter zu fragen: Ist es auch eine Legende, daß Sie früher als Bobby Fischer im Rock bezeichnet wurden?

Doch, das stimmt. 1973, beim Wettkampf UdSSR – Jugoslawien, schlug ich einen Meister mit 4:0. Damals war ich gerade 12 Jahre alt. Der jugoslawische Großmeister Bora Ivkov sagte, das ist kein Mädchen, da spielt Bobby Fischer im Rock.

Der Amerikaner behauptete in den 60er Jahren, jeder Frau der Welt einen Springer vorgeben und sie trotzdem besiegen zu können. Sagen wir, Garri Kasparow gäbe Ihnen einen Bauern vor: Wer würde gewinnen?

Von solchen Fantasiefragen halte ich nichts. Ich bin ein realistischer Mensch. Interview: Stefan Löffler und als Übersetzer Dirk Poldauf