Der "Umbau" des Sozialstaats steht an. Heute will Gesundheitsminister Seehofer (CSU) seinen Gesetzentwurf zur "Reform des Sozialhilferechts" vom Kabinett absegnen lassen: Sozialhilfeempfänger an die Arbeit, Koppelung der Sozialhilfe an die

Der „Umbau“ des Sozialstaats steht an. Heute will Gesundheitsminister Seehofer (CSU) seinen Gesetzentwurf zur „Reform des Sozialhilferechts“ vom Kabinett absegnen lassen: Sozialhilfeempfänger an die Arbeit, Koppelung der Sozialhilfe an die Lohnentwicklung, Unterhaltspflicht für Mitbewohner in Wohngemeinschaften

Eine Grundsanierung mit radikalem Abriß

Wenn die Opposition beim Muschelnsammeln oder Bergwandern ist, wenn aus verwaisten Bundestagsbüros die Sekretärinnen klagen: „Nä, hier iiss längs keina määr“, dann wird in Bonn Politik gemacht. Jetzt ist die Zeit, wo man mit Volldampf Jahrhundertwerke auf den Weg bringen kann. Sollen sich die Abgeordneten ruhig wundern, wenn sie im Herbst vor vollendeten Tatsachen stehen. Vor drei Jahren wurden auf diese Weise die Weichen für die Asylrechtsänderung gestellt. In diesem Jahr steht der „Umbau“ des Sozialstaats auf dem Plan, treffender wohl eine „Grundsanierung“ mit radikalem Abriß.

Die eine Säule dieses „Umbaus“ wird Gesundheitsminister Seehofer heute vom Kabinett absegnen lassen: einen Gesetzentwurf zur „Reform des Sozialhilferechts“. In seinen Kernpunkten sieht der Entwurf eine stärkere Heranziehung von Sozialhilfeempfängern zu kommunalen Arbeiten vor. Bei Arbeitsverweigerung gibt's weniger Geld. Punkt zwei: Von 1999 an soll die Höhe der Sozialhilfe eng an die Entwicklung der Löhne gekoppelt sein. Die Regelsätze sollen dann nicht mehr nach dem zum Leben nötigen Mindestbedarf bemessen werden, sondern nach einem festgelegten Mindestabstand zu den unteren Lohngruppen. Eine Berechnung, die vor allem für Familien mit mehreren Kindern weniger Sozialhilfe bedeutet.

Für den Gesamtetat der Sozialhilfe vielleicht nicht so gravierend, für den Alltag der Betroffenen jedoch sehr wohl: Wohngemeinschaften und Haushaltsangehörige sollen künftig zum Unterhalt herangezogen werden, wenn einer der ihren in finanzielle Not gerät. Bisher ausgeklammert aus dem Paket, das Seehofer heute seinen Kabinettskollegen präsentiert: Rund 600.000 Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge sollen deutlich weniger Sozialhilfe bekommen als Deutsche. Das soll den Ländern und Gemeinden jährlich Sozialhilfekosten in Höhe von 1,3 Milliarden Mark einsparen.

Die geplanten Sozialhilfeänderungen stehen in unheilvoller Abhängigkeit zu einem anderen „Reformvorhaben“, an dem gerade in einem anderen Ministerium gebastelt wird: Das Arbeitsministerium plant drastische Einsparungen beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe. 3,4 Milliarden will Norbert Blüm im kommenden Jahr allein bei der Arbeitslosenhilfe kürzen, die aus dem Bundeshaushalt finanziert wird. Die beim Bund gesparten Milliarden werden jedoch wie ein Dominostein auf einen anderen Träger fallen: auf die Städte und Gemeinden, die für die Sozialhilfe aufkommen müssen. Die Kommunen können diese Mehrkosten jedoch nur tragen, indem sie die Last ihrerseits auf den nächst Schwächeren abwälzen.

Für die Betroffenen rächt sich hier, daß die Sozialhilfe – einst als Notbehelf in persönlichen Ausnahmesituationen gedacht – in den letzten Jahren zum selbstverständlichen Auffangbecken für eine verfehlte Arbeitsmarktpolitik geworden ist. Schon jetzt ist bei einem Drittel der Sozialhilfeempfänger die Arbeitslosigkeit der alleinige Grund für ihre Bedürftigkeit. In Ostdeutschland sind es sogar 46 Prozent der Sozialhilfeempfänger, die der fehlende job „aufs Amt“ zwingt.

Dieses Abwälzen der Finanzlast von der Arbeitslosenunterstützung auf die Sozialhilfe wird sich durch die Bonner Pläne noch verstärken: Die originäre Arbeitslosenhilfe, das heißt die Hilfe für diejenigen, die vor Eintritt in die Arbeitslosigkeit weniger als 150 Tage sozialversicherungspflichtig gearbeitet haben, soll gänzlich gestrichen werden. Einsparungen für den Bundeshaushalt: 600.000 Mark. Kosten für die Städte und Gemeinden: 600.000 Mark aus dem Sozialhilfeetat. Beispiel zwei: Die geplante Bemessung der Arbeitslosenhilfe nach dem aktuellen „Marktwert“ wird das Einkommen vieler Arbeitsloser endgültig unter das Existenzminimum drücken. Geschätzte Einsparungen für den Bundeshaushalt: 400.000. Für die örtlichen Sozialämter eine Schar von neuen Klienten. Beispiel drei: Arbeitslose sollen künftig schon nach sechs Monaten vergattert werden, Arbeiten weit unter ihrer beruflichen Qualifikation anzunehmen. So wollen es die Pläne des Arbeitsministeriums. Doch damit wird eine stetige Abwärtsspirale in Gang gesetzt: Niedrigere Qualifikation bringt niedrigeren Lohn, bei erneuter Arbeitslosigkeit dann ein niedrigeres Arbeitslosengeld, Endstufe schließlich: die Sozialhilfe.

Die überlasteten Sozialhilfeträger üben ihrerseits kleine, feine Rache: Sie fördern mit Lohnzuschüssen den Wiedereinstieg von Sozialhilfeempfängern in einen Beruf. Diese „Hilfe zur Arbeit“ wird in Seehofers Sozialhilfereform jetzt ausdrücklich unterstützt. Nur was an sich sinnvoll ist, ist nicht ohne Eigennutz: Den Lohnkostenzuschuß zahlen die Sozialämter meist nur solange, bis der Hilfeempfänger wieder Anspruch auf Arbeitslosengeld hat. Dann sind sie ihn los, der Bund muß eine Weile zahlen – und setzt dann die Abwärtsspirale erneut in Gang. Vera Gaserow