Atmosphäre offenen Hasses

Die neuen Bürgermeister der französischen Front National beginnen zu regieren – die „nationale Präferenz“ steht an oberster Stelle  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Die Umzugskisten der neuen Bürgermeister von Toulon, Orange und Marignane sind noch nicht ausgepackt, da hat ihr Schlagwort von der „nationalen Präferenz“ bereits Einzug in die französische Sprache gehalten und vergiftet das politische Klima. In der rechtsextremen Logik bedeutet es nichts anderes als „Diskriminierung“ – vor allem der Immigranten, egal ob die in Frankreich geboren sind oder nicht.

„Wir werden nichts Illegales tun“, versicherte Jean-Marie Le Chevallier am vergangenen Sonntag erneut, nachdem er von der Mehrheit der Front-National-Mitglieder des Stadtrates erwartungsgemäß zum Bürgermeister von Toulon gewählt wurde. Doch die Opposition in Toulon, die übrigen Bürgermeister des Landes und die Regierung in Paris suchen bereits nach Möglichkeiten, der Front National auf gerichtlichem Wege Einhalt zu gebieten.

Le Chevallier hat als erstes angekündigt, daß er den Etat für seine Gemeindepolizei aufstocken werde: Elektroschlagstöcke für Toulons Polizisten, so die rechtsextreme Rechnung, dann wird sich die Bevölkerung, darunter zahlreiche Militärs, die in dem Marinehafen arbeiten, und Rentner, die sich in das milde Klima der Mittelmeerstadt zurückgezogen haben, schon sicherer fühlen.

Viel umstrittener als das polizeiliche Knüppelrasseln ist jedoch die „nationale Präferenz“. Die haben alle drei Front-National-Bürgermeister ihren Wählern versprochen, und ihr nationaler Chef Jean- Marie Le Pen ruft alltäglich danach: Die „französischen Bürger“ sollen vor allen anderen privilegiert werden – sie sollen als erste Wohnungen, Kindergartenplätze, Sozialhilfe und Arbeit bekommen. Sobald das erste Einwandererkind nicht in die Krabbelstube kommt, weil es die falsche Hautfarbe hat, werden republikanische Anwälte Prozesse beginnen. Die „nationale Präferenz“, so ihr Argument, steht in krassem Widerspruch zum Prinzip, das seit der Französischen Revolution gilt: der Gleichheit aller vorm Gesetz, unabhängig von Religion, Herkunft und Hautfarbe.

Die Wahl der rechtsextremen Bürgermeister in den drei Städten verlief in einer Atmosphäre offenen Hasses. In Toulon wurde das einzige maghrebstämmige Ratsmitglied bei einem Wortbeitrag ausgebuht. Unter den Balkons des Rathauses von Marignane bei Marseille trugen linke Demonstranten T-Shirts mit der Aufschrift „eine Schande“, und in Orange proklamierte ein Philosophieprofessor den „Beginn der Résistance“. Wenige Tage zuvor war aus dem deutschen Rastatt die Kündigung der Städtepartnerschaft eingegangen. Der sozialdemokratische deutsche Bürgermeister konnte die Vorstellung nicht ertragen, seinen rassistischen Kollegen aus Orange treffen zu müssen. Denn genau so habe auch der Nationalsozialismus begonnen, heißt es in dem Schreiben.

Draußen vor den Rathäusern formiert sich unterdessen ein Widerstand, der sich vielerorts tatsächlich „Résistance“ nennt. Diese historische Parallele bietet sich auch deswegen an, weil der zweite Durchgang bei den Kommunalwahlen, der die Rechtsextremen in die Rathäuser brachte, am 18. Juni stattfand – dem Jahrestag von General de Gaulles berühmtem Londoner Aufruf von 1940 zur Résistance, zum Widerstand, gegen die Deutschen und gegen das Kollaborateursregime.

Der Präsident der jüdischen Gemeinde von Toulon forderte „vor allem orthodoxe Juden“ auf, künftig besonders wachsam zu sein. Der Rechtsextremismus unterscheide keinesfalls zwischen Arabern und Juden. Und die Antirassismus-Organisation MRAP hat zur Bildung von „Observatorien“ aufgerufen: Bürger sollen sich zusammentun, um bei der ersten Verfehlung der neuen Ratsherren Alarm zu schlagen.

Auch ein Boykott der von der Front National regierten Städte ist weiter im Gespräch. Täglich kommen neue Vorschläge, wie sie „bestraft“ werden können. Selbst ein Entzug der staatlichen Subventionen wurde schon in die Debatte geworfen. Bei den Künstlern hatte der bei Jugendlichen beliebte Popsänger Patrick Bruel die Auseinandersetzung begonnen, als er seine diesjährigen Sommerauftritte in Toulon und Orange absagte. Altstar Charles Aznavour konterte sofort, er würde nicht für Parteien, sondern für ein Publikum singen. Und zahlreiche linke Künstler gaben bekannt, daß sie „nun erst recht“ für ihre Fans in den rechtsextrem regierten Städten auftreten würden.

Gegen einen Boykott wendet sich auch der Präsident der Antirassismus-Organisation MRAP, Mouloud Aounit. Schließlich gebe es die Front National nicht nur in drei Städten, sondern sie sei nunmehr landesweit mit 2.000 Gemeinderatsmitgliedern vertreten. Die Front National habe die Institutionen der Republik erobert und werde hart daran arbeiten, deren Verfassung zu ändern. „Statt zu desertieren, müssen wir verstärkt Präsenz zeigen“, so Aounit.