Selbstjustiz gegen Hausbesetzer

■ Mit Hunden bewaffnet, drang gestern ein Bauarbeitertrupp in das besetzte Haus Linienstraße 158 ein / Polizei schaute zu / Da keiner in dem Gebäude polizeilich gemeldet sei, sei es gar nicht besetzt gewesen

Auf die bayrische Art und gegen die Berliner Linie wurde gestern das seit 1990 besetzte Haus Linienstraße 158 in Mitte geräumt. Auf eigene Faust drang ein Trupp Bauarbeiter in das Gebäude ein, um es zu räumen und anschließend zu „entrümpeln“. Die Polizei griff nicht ein. Wie der Einsatzleiter lapidar mitteilte, sei das Gebäude gar nicht besetzt gewesen.

Nach Angaben der Bewohner sei der gelbbehelmte 20köpfige Bauarbeitertrupp morgens um sieben, mit mehreren Hunden bewaffnet, in das Haus eingedrungen. Eine Bewohnerin sei durch einen Hundebiß verletzt worden. Der Räumtrupp habe ihnen zwei Minuten Zeit gelassen, um das Gebäude zu verlassen, und sofort damit begonnen, im Erdgeschoß die Fenster herauszureißen. Die Polizei, sowohl von den Besetzern als auch den Bauarbeitern zur Hilfe geholt, habe tatenlos zugesehen. Ein Teil des Mobiliars der Besetzer landete im Container. Daß die Polizei nicht einschritt, begründete Einsatzleiter Hellmann gestern damit, daß hier „nichts Illegales passiert ist“. Man habe aber zwei Personen festgenommen, die bereits seit längerem zur Fahndung ausgeschrieben gewesen seien.

Wie das Nachbarhaus Linienstraße 159 ist auch die Nummer 158 seit 1990 besetzt und fällt somit als Altfall unter die „Berliner Linie“. Vor zwei Jahren hatte Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) auf Anfrage der FDP- Fraktion im Abgeordnetenhaus erklärt, jene Altfälle könnten nicht polizeilich geräumt werden, die Privateigentümer müßten zivilrechtlich gegen die faktisch geduldeten Besetzer vorgehen. Eine Räumungsklage lag im Falle der Linienstraße 158 ebensowenig vor wie ein Räumungsantrag der Eigentümer bei der Polizei. Für Einsatzleiter Hellmann freilich kein Hindernis: Einen richterlich erwirkten Räumungsbefehl brauche der Eigentümer nur, wenn in seinem Haus Menschen wohnen. In der Linienstraße 158 wohne aber niemand. Der Grund: Keiner sei dort polizeilich gemeldet.

Für die Bewohner, die gestern auf Koffern, Kisten, Tischen und neben Bildern und Lampen auf dem Bürgersteig saßen und immerhin so viele Gegenstände aus der Nummer 158 herausgeholt hatten, daß der Gehweg über zwanzig Meter blockiert war, ist das eine unglaubliche Behauptung: „Wir haben dieses Haus im November 1990 besetzt und wohnten in den oberen vier Etagen“, sagte eine Bewohnerin. Für den Polizeibeamten Hellmann war auch das kein Argument: „Es muß irgendwie bekannt sein, daß es sich hier um ein besetzes Haus handelt. Wenn wir nichts von der Besetzung wissen, dann steht das Haus für uns leer, und es braucht auch keiner einen Räumungsbefehl.“ Anders verhalte es sich, so Hellmann, beim Nachbarhaus Nummer 159. Daß dieses Gebäude besetzt ist, sei ihm bekannt. Aus diesem Grund seien die Bauarbeiter durch die Linienstraße 159 nur „durchgegangen“.

Sowohl Linienstraße 158 als auch das Nachbarhaus 159 sind in Besitz eines bayrischen Eigentümers, in Berlin vertreten durch das Anwaltsbüro Nowoczyk. Nach Angaben des bezirklichen Stadtplanungsamtes gibt es für die beiden Grundstücke noch keine Bauanträge. Auch öffentliche Sanierungsmittel seien nicht beantragt. Die Anwälte der Eigentümer wollten gestern keine Angaben über mögliche Sanierungspläne machen. Ganz anders Polizeihauptkommissar Hellmann: Als sei er der gesetzliche Vertreter der Eigentümer, erklärte er, die Nummer 158 werde jetzt entrümpelt und ausgemessen, damit der Eigentümer ein Nutzungskonzept erstellen könne. In der Linienstraße 159 hatten die Eigentümer nach Angaben der Bewohner im März dieses Jahres 1.000 Mark pro Kopf angeboten, wenn die Bewohner von selbst ausziehen. Keiner nahm das Angebot an. Nina Kaden/Uwe Rada