Wildwesten am Himmel über Christo

■ Sechsmal mehr Flugverkehr über dem Reichstag / Keine Möglichkeit, Lärmbeschwerden abzuhelfen

Selbst seriöse Nachrichtenagenturen griffen am Wochenende zu weit hergeholten Superlativen: Über dem verpackten Reichstag herrsche eine Flugzeugdichte wie seit dem Ende der Berlin-Blockade 1949 nicht mehr, wurde vermeldet. Hobbyflieger, Cessnas mit Touristen an Bord und Hubschrauber stadtbekannter Radiosender teilten sich und zerteilten die Luft.

150 Flieger kreisten allein am Sonntag über dem Reichstag, registrierte die Flugsicherung. In unverpackten Tagen waren es täglich nur 25 Flugzeuge. Die Piloten fliegen ohne Radar, nur nach Sicht, gucken nur, ob rechts, links und oben frei ist, bestätigt die Flugsicherung.

Haben die Fluglotsen am Flughafen Tempelhof den Maschinen den Luftraum freigegeben, dann können sie herumkurven, wie es ihnen beliebt. Einzige Einschränkung: Sie müssen sich immer in einer Flughöhe zwischen 300 und 600 Metern aufhalten.

Haben sie einmal abgehoben, sei allein der Pilot verantwortlich, betont Olaf Obst, Pressesprecher der Deutschen Flugsicherung. Die Lotsen schalteten sich nur ein, wenn sie auf ihrem Radar sähen, daß zwei Maschinen zu nah aneinander geraten. Ob der Lenker des Luftschiffes der Empfehlung von den Kollegen am Boden, etwas mehr Abstand zu halten, folgt, ist seine Entscheidung: Freier Flug für freie Piloten.

Was die Bevölkerung eher beunruhigen könnte, regt die Flugsicherung nicht auf. Es scheint zu klappen: „Mir ist nicht bekannt, daß es in letzter Zeit über dem Reichstag brenzlig geworden ist“, beruhigt Obst. Allerdings werde die Freigabe auch nur dann erklärt, wenn der Fliegerhimmel den Lotsen ungefährlich erscheine, beruhigt man.

Wann das der Fall sei, könne nicht mit Zahlen bestimmt werden, sondern hänge von dem jeweiligen Flugverhalten ab. Oft sähen die Situationen in der Luft vom Boden gefährlicher aus, als sie tatsächlich seien.

Also doch grenzenlose Freiheit? Nur für die, die hoch hinauswollen, genau: über 300 Meter. Wer tiefer runter will, braucht eine Sondergenehmigung der Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe. Während der Reichstagsverhüllung vergab sie täglich zwei dieser Bescheide, teilte die Behörde mit, hauptsächlich an Journalisten und Fotografen.

Außerdem wird der Extrastempel lediglich Frühaufstehern und Profis gegeben: Nur zwischen 8.30 und 9.00 Uhr dürften sie das Kunstwerk (fast) streifen. Jeder Antragsteller hat nur zwei Versuche.

Trotz der kurzen Zeitspanne, in der es morgens Tiefflüge für die Kunst gibt, machen sechsmal mehr Flieger auch sechsmal mehr Lärm. Natürlich gebe es Lärmbeschwerden der Anwohner, hieß es aus der Verkehrsverwaltung. Aber denen könne sie nicht abhelfen, der Flugraum sei nun mal frei. Nina Kaden