Theater hinter Gittern

■ Wenig Kommunikation zwischen Akteuren und Gefangenen beim Gastspiel des Berliner Ensembles in der JVA Tegel / Rechtsextremismus im Knast kein Thema

„Ist die Realität in Deutschland tatsächlich so, ist die Bevölkerung wirklich so rechts wie in unserem Stück dargestellt?“ Thorsten Weckherlin vom Berliner Ensemble, Regisseur des Theaterstücks über Rechtsradikalismus „Ich bin das Volk“, sucht einen Einstieg in die Diskussion mit dem Publikum. „Wo fängt denn bei dir rechts an?“ ist die spontane Reaktion eines Zuschauers. „Gute Frage“, antwortet Weckherlin, „dazu kommen wir später noch.“ Unruhe im Saal, es wird gelacht. Das Theaterpublikum ist so ungewöhnlich wie der Ort der Aufführung: Es besteht ausschließlich aus Männern, für die das Theaterstück willkommene Ablenkung vom drögen Alltag ist. Denn alle verbüßen hier in der JVA Tegel langjährige Haftstrafen.

Theater im Knast: „Ich bin das Volk“ zeigt 14 Szenen aus dem deutschen Alltag von Richtern, Polizisten, Journalisten, aber auch von Dichtern, Lehrern oder einfachen Familien. Eines ist allen gemeinsam: sie zeigen Verständnis und sogar Sympathie für rassistische oder antisemitische Gedanken und Taten. Niemand ist bereit, wirklich konsequent etwas dagegen zu tun. Dem Autor Franz Xaver Kroetz wurde vorgeworfen, die deutsche Gesellschaft allzu plakativ darzustellen. Und, noch schlimmer: Das Stück bilde die Realität nur ab und beziehe nicht eindeutig Stellung gegen rechte Gedanken.

Der ehemalige Mitintendant des Berliner Ensembles, Peter Zadek, hatte die Idee, „daß das Theater zu den Leuten kommen müsse, wenn es den Leuten offenbar immer schwerer fällt, ins Theater zu kommen“. Den Männern aus Tegel fällt es natürlich schwer, ins Theater zu kommen, doch auch wenn das Theater zu ihnen kommt, gibt es Probleme. So klagen die Gefangenen darüber, daß die Gefängnisverwaltung nicht allen den Besuch der Veranstaltung erlaubt hat, der Saal ist halb leer. „Der ganze Saal hier könnte gefüllt sein. Es wurden so viele abgewiesen, die gerne gekommen wären“, platzt es aus Mürsel Karatekin, einem Zuschauer, heraus. Weckherlin schaut verständnislos: „Wir finden es eine ganz tolle Idee, hier im Gefängnis zu spielen. Die Reaktionen hier sind so unmittelbar, das ist ein ganz anderer Kontakt zum Publikum. Wir kommen wirklich gerne hierher, aber die organisatorischen Fragen sind nicht unsere Aufgabe“, sagt er. „Das gehört hier doch nicht her“, meint ein Mithäftling. Karatekin entgegnet: „Doch, genau darum geht es, es geht um die demokratischen Strukturen hier.“

„Theater als Brückenschlag zwischen Zuschauern und Schauspielern, Kontakt, Berührung, Spannung und gemeinsames Erlebnis“ nennt das Theater als inhaltliches Anliegen der Tourneeaktion an ungewöhnlichen Orten wie Wirtshäusern, Kirchen und Knästen. Aber der Regisseur Weckherlin schweigt zu dem aufgeworfenen Problem – wie die Mehrzahl der SchauspielerInnen, die bis auf einen stumm auf der Bühne auf Stühlen sitzen und sich nicht an der Diskussion beteiligen. Weckherlin macht weiter in seinem Programm.

Endlich lassen sich zwei Häftlinge aus den beiden ersten Reihen auf die von ihm gewünschte Diskussion ein: Das in dem Stück gezeigte Deutschlandbild sei viel zu einseitig, klagen sie. Die Deutschen seien nicht durch und durch rechtsradikal und sie hätten auch ein Recht, auf ihr Land stolz zu sein. Weckherlin antwortet routiniert, denn diese Kontroverse ist er „schon aus den anderen Aufführungen des Stücks“ gewöhnt, doch eine wirkliche Antwort findet er nicht.

Die Frage nach rassistischen Tendenzen unter Gefangenen, aber auch bei Polizei und Wärtern in der Welt hinter Gittern wird von den Theaterleuten nicht gestellt und bleibt daher unbeantwortet. Im nachhinein erzählen einige Gefangene von ihren Erlebnissen mit der Polizei und Vollzugsbeamten in der JVA Tegel, die es etwa auf Langhaarige und Ausländer besonders abgesehen hätten. Regisseur Weckherlin bestreitet nach der Veranstaltung, daß er diese Problematik bewußt ausgeklammert habe, um eine Fortsetzung von Theateraufführungen im Gefängnis nicht zu gefährden. Er wolle nicht das erfahren, was er sowieso schon wisse, meint Weckherlin: „Wir kennen die Verhältnisse im Knast ganz genau aus den Zuschriften der Gefangenen. Die beschweren sich doch immer.“ Ina Rust