Die Herren von Teheran: Untätig auf dem Pulverfaß

■ Trotz des gestrigen Rückziehers befindet sich das iranische Regime so tief in der Krise, daß es über kurz oder lang auf die westlichen Forderungen eingehen muß

„Ich beneide einen Mann von solcher literarischen Potenz, und ich wünschte mir, er könnte seine enorme Energie dafür einsetzen, Brücken zwischen den Kulturen zu schlagen, anstatt sie zu zerstören.“ Derlei Bewunderung für Salman Rushdies dichterisches Talent zeigte kürzlich Muhammed Dschawad Laridschani, Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats der Islamischen Republik Iran, in einem Interview mit der schwedischen Zeitung Dagens Nyheter. „Wenn ich an Rushdies Stelle wäre“, fügte er hinzu, „würde ich mir einen Anwalt nehmen und den Fall vor ein iranisches Gericht bringen. Ich würde argumentieren, daß ich mich durch das Kopfgeld bedroht fühle.“ In wahrhaft jesuitischen Formeln nahm der einflußreiche Politiker Abstand vom Mordaufruf des Ajatollah Chomeini. Die Fatwa gegen Salman Rushdie und seine Verleger, die bereits zu mehreren Anschlägen geführt hat, stört die iranisch-westlichen Beziehungen aufs empfindlichste. Seit Monaten sucht das offizielle Teheran darum nach Auswegen. Die Repräsentanten der drei Gewalten, Staatschef Rafsandschani, Parlamentsvorsitzender Dnategh Nuri und der höchste Richter des Landes, Yazdi, haben nacheinander versichert, daß der Iran Salman Rushdie nicht nach dem Leben trachte. Die Fatwa sei lediglich die „private Meinung eines Rechtsgelehrten“ gewesen. Noch vor einem Jahr wären solche Äußerungen einem politischen Selbstmord gleichgekommen.

Der Sinneswandel ist eine Antwort auf den Druck europäischer Politiker und auf den vor sechs Wochen beschlossenen amerikanischen Boykott, der Iran jährlich mehr als vier Milliarden Dollar kosten dürfte. Die Angst der iranischen Politiker ist groß, denn die USA fordern eine Ausweitung des Embargos gegen die Islamische Republik. Kämen die EU-Länder der Forderung nach, dann würde dem schiitischen Gottesstaat schon bald die Stunde schlagen.

Sechzehn Jahre klerikaler Herrschaft haben das mit Ölreichtum gesegnete Land an den Rande des Abgrunds geführt: Armut, Arbeitslosigkeit, Korruption. In einem geheimen Bericht an Rafsandschani heißt es, zwei Drittel der sechzig Millionen Iraner „leben unterhalb des Existenzminimums“. „Wir sind auf dem besten Weg, das Bangladesch von morgen zu werden“, schrieb eine Teheraner Zeitung.

Die Herren von Teheran sitzen auf einem Pulverfaß. Seit drei Jahren kommt es in den Städten immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen. Aufgeschreckt hat die Mullahs der Aufstand der Armen vor einigen Monaten in Islamschar vor den Toren Teherans. Nur mit brachialer Gewalt gelang es den Revolutionsgardisten, der Unruhen Herr zu werden. Hohe Preise für Trinkwasser waren der Grund für den Aufstand. „Der hungrige Magen kennt keinen Glauben“, warnten die Abgeordneten im Parlament.

Um das Volk einzuschüchtern, wurde vor drei Wochen im Süden Teherans unweit von Islamschar ein Militärmanöver veranstaltet. 100.000 Revolutionsgardisten demonstrierten die Schlagkraft der herrschenden Macht. „Die Soldaten des Koran zeigten ihre Bereitschaft, die Errungenschaften der Islamischen Revolutuion zu verteidigen“, hieß es in der Zeitung Dschomhuri-Islam. Das Manöver trug den Namen „Aschura“, nach dem Todestag des dritten islamischen Imam Hossein. Das Volk wurde damit vor dem Treuebruch gewarnt. Hossein hatte sich guten Glaubens in die Hände seiner Feinde begeben.

Derweil versucht die Regierung des wirtschaftlichen Chaos Herr zu werden. Das Kabinett forderte für die Preisspekulanten harte Bestrafungen, wie etwa öffentliche Auspeitschungen oder gar Hinrichtungen. Ein dementsprechendes Gesetz kam zwar im Parlament, dessen Mehrheit mit den Basaris verbunden ist, nicht durch, doch die Regierung verkündete, sie werde die juristischen Maßnahmen per Dekret durchführen. Um dem „Wirtschaftsterrorismus“ zu begegnen, wurde vor drei Wochen der Wechselkurs des Dollar auf maximal 3.000 Rial festgesetzt. Künftig müssen alle Transaktionen über das staatliche Bankensystem durchgeführt werden. Noch vor einem Monat war der Dollar auf dem freien Markt für 7.000 Rial gehandelt worden.

Inzwischen wird der Revolutionsführer Said Ali Chamenei nicht müde, den „US-Satan“ für das iranische Desaster verantwortlich zu machen. Die Amerikaner und Zionisten wollten „die Hochburg der islamischen Revoltuon zerstören“. Doch zu Rushdie hüllt sich Chamenei zur Zeit in Schweigen. Er läßt der Zeitung Kayhan, der Stimme der Radikalen, das Wort. „Wir meinen nicht“, schrieb das Blatt, „daß das Außenministerium ein Kommando nach London schicken muß. Doch jeder gläubige Muslim ist verpflichtet, die Fatwa unseres geliebten Imam zu vollstrecken.“

Der gestrige Rückzieher der iranischen Realpolitiker zeigt, daß sich die fundamentalistischen Betonköpfe einstweilen durchgesetzt haben. Aber endgültig ist die Entscheidung nicht. Mit der Krise im Iran werden sich auch die Richtungskämpfe verschärfen. Ahmed Taheri, Frankfurt